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und Egon Schwarz, wurden temporär für Vorträge nach Wien zurückgeholt.306
Aus Kraus’ Perspektive fielen aber auch diejenigen Intellektuellen in der Sow-
jetunion und den Satellitenstaaten, die unter staatlichen Restriktionen zu leiden
hatten und nicht publizieren durften, in diese Kategorie. Diese versuchte er eben-
falls nach Österreich zu holen, was für viele zum „Absprung“ in den Westen
wurde (vgl. Kapitel 6.4).
Erich Fried
„Aus London haben wir den dort lebenden und wirkenden Wiener Prosaautor,
Lyriker und Übersetzer Erich Fried, nach Wien gebeten“, ließ Kraus in seiner Eröff-
nungsrede im Dezember 1961 verlautbaren. Diese Aussage ist bezeichnend hin-
sichtlich der kulturpolitischen Schieflage nach 1945, indem hier der Eindruck
erweckt wird, ein in London lebender österreichischer Schriftsteller würde in sei-
ne Heimat zurückkehren, kein Wort fällt über die Gründe, weshalb der Autor erst
„nach dreiundzwanzig Jahren seine Heimat wiedersehen“ wird, und der Zusam-
menhang mit der Vernichtung der europäischen Juden wird nicht hergestellt. Fried,
1921 in Wien geboren, musste als siebzehnjähriger seiner jüdischen Herkunft wegen
ins englische Exil flüchten, arbeitete als Bibliothekar, Fabriksarbeiter und Chemi-
ker, gab 1944 sein literarisches Debüt im Verlag des österreichischen P.E.N.-Clubs
und war nach 1945 als Übersetzer u. a. von Dylan Thomas, W.
H. Auden und Wil-
liam Shakespeare tätig. Er war der erste Exilautor, der von der ÖGL eingeladen
wurde, Kraus trat mittels eines hochoffiziellen Schreibens an ihn heran:
Als Leiter unserer neugegründeten Gesellschaft ist es mir nun endlich möglich,
einen lang gehegten Wunsch zu realisieren und an Sie die Bitte zu richten, uns doch
einmal in Wien zu besuchen. Es wäre uns ein Vergnügen, Sie für 14 Tage als Gast
unserer Gesellschaft in Wien haben zu können. Selbstverständlich würden wir für
sämtliche Kosten Ihres Aufenthaltes aufkommen, Ihnen alle Gespräche, die Sie
wünschen, ermöglichen und Ihnen Zugang zum österreichischen Kulturleben mit
Freude öffnen. […] Eine ganze Reihe von Autoren, denen Sie durch Ihr Werk ein
Begriff sind, würde Sie gerne persönlich kennenlernen – auch die Presse zeigt gro-
ßes Interesse für Ihren Besuch. […] Lieber Herr Fried, machen Sie uns doch die
Freude, bald zu uns zu kommen.307
306 Vgl. Wendelin Schmidt-Dengler: Literaturwissenschaft und Exil. In: Friedrich Stadler (Hg.):
Vertriebene Vernunft II. Emigration und Exil österreichischer Wissenschaft 1930–1940. Tlbd.
1. Unv. Neuaufl. Münster: Lit 2004, S. 520–521.
307 Wolfgang Kraus an Erich Fried, 22. Dezember 1961. Zit. n. Müller: Wolfgang Kraus und die
Exilliteratur. In: Adunka, Roessler (Hg.): Rezeption des Exils, S. 88.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
164 Die Österreichische Gesellschaft für Literatur (1961–1975)
Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Titel
- Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Autor
- Stefan Maurer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23312-1
- Abmessungen
- 15.8 x 24.0 cm
- Seiten
- 452
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- 1. EINLEITUNG: WOLFGANG KRAUS, EIN „KANTENLOSER HOMME DE LETTRES“? 9
- 2. DER ÖSTERREICHISCHE LITERATURBETRIEB NACH 1945 43
- 3. DIE ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR LITERATUR (1961–1975) 81
- 3.1 Gründung und Anfänge der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 83
- 3.2 Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 98
- 3.3 Die ÖGL und das Konzept einer österreichischen Literatur 124
- 3.4 Die ÖGL und „Wort in der Zeit“ 142
- 3.5 Eine „Heimatadresse“? Die ÖGL und die Exilliteratur 155
- 3.6 Forum der Jugend 180
- 3.7 Bemühungen um die Literatur der östlichen Nachbarn 183
- 3.8 Resümee 190
- 4. „DAS MANAGEMENT REISST NICHT AB“. WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE LITERATUR 193
- 5. KONTAKTPERSON, VERMITTLER, DOLMETSCHER: WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE KULTURPOLITIK 297
- 6. WOLFGANG KRAUS’ NETZWERKE IM KULTURELLEN KALTEN KRIEG 355
- 7. RESÜMEE 399
- 8. LITERATURVERZEICHNIS 403
- 9. PERSONENREGISTER 437