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dungsmitglied des „Kongresses für kulturelle Freiheit“, einer der wirkungsmäch-
tigsten Institutionen des Kalten Krieges, dessen Exekutivkomitee er angehörte.
Gemeinsam mit Arthur Koestler verfasste er das „Manifest für kulturelle Frei-
heit“, das am ersten Kongress 1950 in Berlin verlesen wurde. Sperber war dabei
eher gemäßigt, „bemühte sich stets, Koestlers Insistieren auf einer einseitigen
Positionierung durch neutrale, kompromißfähige Vorschläge zu entschärfen“.362
Sperbers Engagement im „Kongress“ sollte sich für Kraus und die Tätigkeit der
ÖGL als enormer Vorteil hinsichtlich ihrer Ost-West-Arbeit erweisen (vgl. Kapi-
tel 6).
Hinsichtlich seiner Beziehung zu Wien hat Sperber im dritten Band seiner
Autobiografie festgehalten, es geschehe „nicht selten, daß ich auf Reisen anstatt
Paris ‚Wien‘ nenne, wenn ich meinen Wohnort bezeichnen soll. Die Spuren einer
vergifteten Liebe bleiben länger sichtbar als die einer langsamen, erschöpften,
ausgebrannten Leidenschaft.“363 Kraus hat dazu in einem Vortrag zu diesem
Thema bemerkt, dass Sperber „bis zu dreimal im Jahr“ in Wien gewesen sei, er
„zum Wiener Kulturleben“ gehört habe und für ihn Sperber solange er lebte,
„ein Stück Wien in Paris“364 gewesen sei. Auch gegenüber Kraus dürfte Sperber
diese Ambivalenz zur Stadt seiner Jugend formuliert haben. So hält Kraus nach
einem Spaziergang mit Sperber im Wiener Augarten in einem Tagebucheintrag
fest, dass Sperber nicht in Österreich sesshaft werden wolle, „denn er könne
nicht in einem Friedhof, darin seine Verwandten und Freunde (nach gewaltsa-
mem Tod) lägen, sein Haus bauen. Der Emigrant lebe mit abgeschnittener Wur-
zel. ‚Ich frage mich, warum ich Österreich liebe, warum ich zu Ihnen spre-
che…‘.“365
Kraus bemühte sich jedoch, Sperber enger an Wien zu binden, vermittelte er
ihm doch zunächst den Kontakt zum Molden- und später zum Europa-Verlag.
Sperber, der jenen Typus des europäischen Intellektuellen repräsentierte, der
dem Geist des Humanismus verpflichtet war, sich den totalitären Regimen wider-
setzt hatte und sich gleichzeitig zum geistigen Raum der ehemaligen Donaumo-
narchie bekannte, nahm die Rolle des Mentors für Kraus ein, die sich in einer
sehr umfangreichen Korrespondenz dokumentiert.366
362 Mirjana Stančić: Manès Sperber. Leben und Werk. Frankfurt/M., Basel: Stroemfeld/Roter Stern
2003, S. 468.
363 Manès Sperber: All das Vergangene... 4. Aufl. Wien: Europa-Verlag 1984, S. 684.
364 Kraus: Manès Sperber und Wien, S. 45 f.
365 Wolfgang Kraus: Tagebuch, 29. Dezember 1972, NL WK.
366 Die Widmung für Sperber in Kraus’ erstem Essayband Der fünfte Stand (1966) liest sich wie
folgt: „Für Manes Sperber – Ihnen, lieber Herr Sperber, verdanke ich unendlich viel: Ihnen
und Ihren Werken. Ich danke Ihnen für manches Gespräch, da mir Klarheit, Ermutigung und
neuen Impuls gegeben hat. Und Dank auch für die hilfreiche kritische Lektüre des Manuskripts.
Alle guten Wünsche und Grüße von Ihrem W. K. Wien 13.9.66“. NL WK.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
178 Die Österreichische Gesellschaft für Literatur (1961–1975)
Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Titel
- Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Autor
- Stefan Maurer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23312-1
- Abmessungen
- 15.8 x 24.0 cm
- Seiten
- 452
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- 1. EINLEITUNG: WOLFGANG KRAUS, EIN „KANTENLOSER HOMME DE LETTRES“? 9
- 2. DER ÖSTERREICHISCHE LITERATURBETRIEB NACH 1945 43
- 3. DIE ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR LITERATUR (1961–1975) 81
- 3.1 Gründung und Anfänge der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 83
- 3.2 Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 98
- 3.3 Die ÖGL und das Konzept einer österreichischen Literatur 124
- 3.4 Die ÖGL und „Wort in der Zeit“ 142
- 3.5 Eine „Heimatadresse“? Die ÖGL und die Exilliteratur 155
- 3.6 Forum der Jugend 180
- 3.7 Bemühungen um die Literatur der östlichen Nachbarn 183
- 3.8 Resümee 190
- 4. „DAS MANAGEMENT REISST NICHT AB“. WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE LITERATUR 193
- 5. KONTAKTPERSON, VERMITTLER, DOLMETSCHER: WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE KULTURPOLITIK 297
- 6. WOLFGANG KRAUS’ NETZWERKE IM KULTURELLEN KALTEN KRIEG 355
- 7. RESÜMEE 399
- 8. LITERATURVERZEICHNIS 403
- 9. PERSONENREGISTER 437