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An dieser Stelle soll nur eine kursorische Darstellung der Eingeladenen aus
dem Osten erfolgen, während die durchaus transnationale Rolle, welche die ÖGL
im kulturellen Kalten Krieg spielte, in einem späteren Kapitel genauer analysiert
wird (vgl. Kapitel 6). Kraus hat sich auf jeden Fall sofort ganz auf Kreiskys kultur-
politische Linie gestellt, wenn er etwa affirmativ die österreichische Kulturpolitik
lobt, da für diese nun die „hinter dem Eisernen Vorhang beheimateten Themen
und Schauplätze“ immer mehr an Bedeutung gewinnen würden: „[M]an sucht
Aufschluß über die Situation in den östlichen Staaten, über ihre Vergangenheit
und damit über ihre mögliche Zukunft“.385 Wie ein kulturpolitischer Seismograph
hat der überaus gut informierte Kraus diese Schwerpunktsetzung gen Osten regis-
triert und adaptiert. Es war ein „weicher“ Antikommunismus, den Kraus nach
außen hin postulierte, der auf Kommunikation und Verständnis sowie unmittel-
bare Hilfestellungen für intellektuelle Dissidenten setzte, um sie gegen das kom-
munistische System in Schutz zu nehmen und ihnen Möglichkeiten im Westen zu
bieten. Wie Erich Fried bemerkt hat, war Kraus eine „keineswegs nur intellektu-
elle, sondern auch tief aus dem Gefühlsleben“ kommende „Abneigung gegen die
Sterilität des kalten Krieges“386 zu eigen. In der Anfangszeit des Kalten Krieges
hatte es nur wenige Kontakte auf kulturellem Gebiet gegeben, und wer wie Kraus
„von den ersten Möglichkeiten an über die Grenzen ging, wusste mit Notwendig-
keit“387 über die kulturelle Situation hinter dem „Eisernen Vorhang“ mehr als
andere. In einem Aufsatz von 1961 berichtet er über die interne Strategie der KPd-
SU, die der „gewaltigen, nichtkommunistischen Majorität im eigenen Land, und
vor allem den Intellektuellen“ zeige, dass „sie vom Westen nichts mehr zu erwar-
ten“ hätten. Kraus’ Argument war, es solle mittels „Hilfe durch Verstehen, durch
Miterleben, durch Nützen aller bestehenden Möglichkeiten“ eine Schwächung des
kommunistischen Systems erreicht werden, indem man den oppositionellen Intel-
lektuellen materiell und immateriell Unterstützung zukommen lasse: „Denn gera-
de vom Geistigen her gibt es ungeheure Möglichkeiten, auf die hohe Anzahl der
Nichtkonformisten im Osten, und damit auf Menschen mit erheblicher Strah-
lungskraft, im Sinne der Liberalität einzuwirken.“388
So kann Kraus nach dem Fall des „Eisernen Vorhangs“ durchaus auf eine
Erfolgsgeschichte zurückblicken, was diese Bestrebungen betrifft: „Aus den kom-
munistischen Staaten konnte ich doch durch Hartnäckigkeit und fallweise auch
durch die Gunst vorübergehender liberaler Phasen wichtige Persönlichkeiten
385 Wolfgang Kraus: Östliches Panorama, breit aufgerollt. In: Wiener Zeitung. 16. Juni 1961; Der
Tag [Berlin], 4. Juni 1961.
386 Erich Fried an Wolfgang Kraus, 27. August 1963, NL WK.
387 Endre Kiss: Über den Charme des Homo Aestheticus in einer Welt des eisernen Vorhanges.
In: Bassola, ders. (Hg.): Literatur als Brücke zwischen Ost und West, S. 26–39, hier S. 33 f.
388 Wolfgang Kraus: Der geistige Schauplatz. Kulturelle Beobachtungen zwischen Ost und West,
August 1961, ms. Ts., NL WK.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Bemühungen um die Literatur der östlichen Nachbarn 185
Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Titel
- Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Autor
- Stefan Maurer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23312-1
- Abmessungen
- 15.8 x 24.0 cm
- Seiten
- 452
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- 1. EINLEITUNG: WOLFGANG KRAUS, EIN „KANTENLOSER HOMME DE LETTRES“? 9
- 2. DER ÖSTERREICHISCHE LITERATURBETRIEB NACH 1945 43
- 3. DIE ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR LITERATUR (1961–1975) 81
- 3.1 Gründung und Anfänge der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 83
- 3.2 Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 98
- 3.3 Die ÖGL und das Konzept einer österreichischen Literatur 124
- 3.4 Die ÖGL und „Wort in der Zeit“ 142
- 3.5 Eine „Heimatadresse“? Die ÖGL und die Exilliteratur 155
- 3.6 Forum der Jugend 180
- 3.7 Bemühungen um die Literatur der östlichen Nachbarn 183
- 3.8 Resümee 190
- 4. „DAS MANAGEMENT REISST NICHT AB“. WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE LITERATUR 193
- 5. KONTAKTPERSON, VERMITTLER, DOLMETSCHER: WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE KULTURPOLITIK 297
- 6. WOLFGANG KRAUS’ NETZWERKE IM KULTURELLEN KALTEN KRIEG 355
- 7. RESÜMEE 399
- 8. LITERATURVERZEICHNIS 403
- 9. PERSONENREGISTER 437