Seite - 194 - in Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
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rischen Feld einzunehmen. Der Schriftsteller Josef Haslinger, selbst ein arrivier-
ter, oftmals geehrter Autor, der seit 2013 als Präsident des P.E.N.-Zentrums
Deutschlands fungiert, hat von der produktionsästhetischen und ökonomischen
Situation der österreichischen Autorinnen bzw. Autoren während der 1970er
Jahre ein düsteres Bild gezeichnet:
Hauptsache, ich kann den Roman veröffentlichen, denkt der Autor, Hauptsache,
ich kriege ein bißchen Geld dafür, Hauptsache, ich komme endlich ins Geschäft.
Vielleicht gibt es in unerträglichen Zeitungen ein paar erträgliche Besprechungen,
ein bißchen Ansehen und Ehre wird auf jeden Fall drinnen sein, ein bißchen Öffent-
lichkeit, ein paar zusätzliche Lesungen, Rundfunkbeiträge, eine Einladung in die
schlechteste aller Welten, in die Welt des Wolfgang Kraus. Hauptsache, ich fasse
Fuß, Hauptsache, ich komme endlich ins Geschäft. Irgendwann kann ich dann den
Spielraum gewinnen, den ich brauche, um jenen Roman zu schreiben, den ich
immer schon schreiben wollte, denkt der Autor.3
Diese von Haslinger als „schlechteste aller Welten“ bezeichnete Realität der
1970er Jahre lokalisiert die von Bourdieu als „Hierarchisierungsprinzipien“
beschriebenen Sachverhalte im literarischen Feld, nämlich das autonome Prin-
zip und das heteronome Prinzip, wobei letzteres „diejenigen begünstigt, die das
Feld ökonomisch und politisch beherrschen“.4 Kraus erreichte in jenem Jahr-
zehnt den „Zenith seiner unverschämten Macht“,5 wie Franz Schuh, der publi-
zistisch und kulturpolitisch stets gegen ihn opponierte, festgestellt hat.
Im folgenden Kapitel soll Kraus als Literaturvermittler im literarischen Feld
dargestellt werden, jedoch jenseits der pejorativen Zuschreibungen seiner Zeit-
genossen Haslinger und Schuh. Vielmehr stehen die von Kraus’ entwickelten
Dynamiken im Zentrum, und er soll als ein Akteur beschrieben werden, der
changierend zwischen „Literaturpapst“, „grauer Eminenz“, aber auch „Schach-
figur“ innerhalb des Feldes der Macht die Fäden in der Hand hielt.
Zunächst wird Kraus’ Habitus herausgearbeitet und sein Verständnis, was
Literatur sein solle bzw. zu leisten habe und welche gesellschaftspolitische und
Frz. übers. v. Bernd Schwibs u. Achim Russer. Frankfurt/M.: Suhrkamp 2001 (= stw 1539),
S. 342.
3 Josef Haslinger: Auf der Suche nach der österreichischen Literatur des letzten Jahrzehnts. In:
Friedbert Aspetsberger, Hubert Lengauer (Hg.): Zeit ohne Manifeste? Zur Literatur der sieb-
ziger Jahre in Österreich. Wien: ÖBV 1987 (= Schriften des Institutes für Österreichkunde
49/50), S. 7–15, hier S. 9. [Kursivierung im Original.]
4 Bourdieu: Die Regeln der Kunst, S. 344.
5 Franz Schuh: Beschreibung eines Wunsches. Die Grazer Autorenversammlung als Paradigma
eines Schriftstellervereins der siebziger Jahre. In: Aspetsberger, Lengauer (Hg.): Zeit ohne
Manifeste?, S. 16–34, hier S. 29.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
194 Wolfgang Kraus und die österreichische Literatur
Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Titel
- Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Autor
- Stefan Maurer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23312-1
- Abmessungen
- 15.8 x 24.0 cm
- Seiten
- 452
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- 1. EINLEITUNG: WOLFGANG KRAUS, EIN „KANTENLOSER HOMME DE LETTRES“? 9
- 2. DER ÖSTERREICHISCHE LITERATURBETRIEB NACH 1945 43
- 3. DIE ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR LITERATUR (1961–1975) 81
- 3.1 Gründung und Anfänge der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 83
- 3.2 Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 98
- 3.3 Die ÖGL und das Konzept einer österreichischen Literatur 124
- 3.4 Die ÖGL und „Wort in der Zeit“ 142
- 3.5 Eine „Heimatadresse“? Die ÖGL und die Exilliteratur 155
- 3.6 Forum der Jugend 180
- 3.7 Bemühungen um die Literatur der östlichen Nachbarn 183
- 3.8 Resümee 190
- 4. „DAS MANAGEMENT REISST NICHT AB“. WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE LITERATUR 193
- 5. KONTAKTPERSON, VERMITTLER, DOLMETSCHER: WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE KULTURPOLITIK 297
- 6. WOLFGANG KRAUS’ NETZWERKE IM KULTURELLEN KALTEN KRIEG 355
- 7. RESÜMEE 399
- 8. LITERATURVERZEICHNIS 403
- 9. PERSONENREGISTER 437