Seite - 218 - in Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
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schen Lebens“ kontaktieren, kirchliche Würdenträger sollten anlässlich von
Lesungen, Vorträgen und Kongressen Präsenz zeigen, in den Kulturteilen von
der Kirche nahestehenden Zeitschriften und Zeitungen wären die literarischen
Bemühungen zu verstärken, darüber hinaus könne die „Katholische Akademie“
zu stärkerer Wirkung gebracht werden, die Literatur zu inkorporieren, um damit
Intellektuelle anzusprechen: „Der heute esoterisch-resignative Charakter dieser
Institution müßte eine energische Änderung ins Dynamische und Aktuelle erfah-
ren, ohne deshalb Substanz einzubüßen“.93 Kraus betont das dialogische Moment
einer Annäherung, führt aber auch fördernde Aktivitäten an:
[W]enn man Zugang zu den Autoren finden, sie für sich gewinnen will, muß man
Interesse für sie und ihre Arbeit haben, muß man ihnen helfen, ihnen den guten
Willen zeigen, und Taten folgen lassen. […] Wenn die Kirche ihre Orden, die ihr
nahestehenden Institutionen tatsächlich in dieser Richtung mobilisieren könnte,
wäre gerade Österreich der aussichtsreichste Schauplatz, um von hier aus für das
gesamte deutschsprachige Gebiet eine Wendung der Literatur von der atheistischen
und positivistischen Linkstendenz zu einer religiösen Aufgeschlossenheit zu initi-
ieren.94
Auch in seiner Literaturkritik widmete sich Kraus katholischen Autorinnen und
Autoren. Über den Essayband Christliche Dichter der Gegenwart, der „Beiträge
zur europäischen Literatur“ versammelt und vom deutschen Philosophen und
Juristen Hermann Friedmann 1955 im Heidelberger Rothe-Verlag herausgege-
ben wurde, vermerkt Kraus, er dokumentiere „in einem müden Europa“ das
„kaum mehr erwartete Ereignis“, dass es wieder eine „bewußte christliche Lite-
ratur“ gebe: „Eine Kunst, die sich aus gewaltigen, zum Teil über Nacht plötzlich
aufscheinenden Kräften nährt und in reichem eigenartigem Wuchs gedeiht.“
Die Beiträge der vierundzwanzig an dem Band beteiligten Verfasserinnen und
Verfasser thematisieren u. a. den „modernen Jesus-Roman“, Gertrud von Le Fort,
Elisabeth Langgässer, Ina Seidl, Franz Werfel, Charles Péguy, aber auch Heinrich
Böll: „So merkwürdig dies sein mag, man liest dieses wissenschaftliche Werk
mit Erschütterung. Man wird sich bewußt, wie reich und aus der Tiefe seiner
Zerrissenheit fruchtbar das Abendland auch heute noch ist. Das Gemeinsame,
Verlorengeglaubte, ist mit einem Male wieder spürbar.“95
Kraus gelangte zunehmend zu der Ansicht, dass dem „Wertezerfall“, der sei-
ner Ansicht nach in Literatur, Philosophie und Kunst mit den Katastrophen des
93 Ebd.
94 Ebd.
95 Wolfgang Kraus: Vor dem neuen Aufbruch. Christliche Dichter der Gegenwart (Wolfgang
Rothe Verl.). In: Der Tag (Berlin), 18. Dezember 1956.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
218 Wolfgang Kraus und die österreichische Literatur
Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Titel
- Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Autor
- Stefan Maurer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23312-1
- Abmessungen
- 15.8 x 24.0 cm
- Seiten
- 452
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- 1. EINLEITUNG: WOLFGANG KRAUS, EIN „KANTENLOSER HOMME DE LETTRES“? 9
- 2. DER ÖSTERREICHISCHE LITERATURBETRIEB NACH 1945 43
- 3. DIE ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR LITERATUR (1961–1975) 81
- 3.1 Gründung und Anfänge der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 83
- 3.2 Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 98
- 3.3 Die ÖGL und das Konzept einer österreichischen Literatur 124
- 3.4 Die ÖGL und „Wort in der Zeit“ 142
- 3.5 Eine „Heimatadresse“? Die ÖGL und die Exilliteratur 155
- 3.6 Forum der Jugend 180
- 3.7 Bemühungen um die Literatur der östlichen Nachbarn 183
- 3.8 Resümee 190
- 4. „DAS MANAGEMENT REISST NICHT AB“. WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE LITERATUR 193
- 5. KONTAKTPERSON, VERMITTLER, DOLMETSCHER: WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE KULTURPOLITIK 297
- 6. WOLFGANG KRAUS’ NETZWERKE IM KULTURELLEN KALTEN KRIEG 355
- 7. RESÜMEE 399
- 8. LITERATURVERZEICHNIS 403
- 9. PERSONENREGISTER 437