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dierte er Rechtswissenschaften, arbeitete als Journalist und reüssierte 1951 mit dem
Roman Das Boot kommt nach Mitternacht. Der Roman ist ebenso wie andere Texte
aus dieser Periode ein „Bekenntnis zum Wort, zum intakten Wort“, der sprachliche
Experimente scheute, und entsprach durchaus den „ästhetischen Anforderungen“,
aber auch „dem Bedürfnis nach Wiederherstellung“.166 Habecks Geschichte über
Offiziere der Deutschen Wehrmacht, die während des Zweiten Weltkriegs in der
Bretagne kämpfen, lässt sich hinsichtlich des Aspekts der Vergangenheitsaufarbei-
tung kaum mit Ilse Aichingers Die größere Hoffnung (1948) oder Herbert Eisen-
reichs Auch in ihrer Sünde (1953) vergleichen, wie Wendelin Schmidt-Dengler fest-
gestellt hat; obwohl es nicht mehr um die „Story“ geht, nimmt Habeck keine
Diagnose vor, wie es zum Krieg gekommen ist, und Frieden sieht der Text nur als
etwas ex negativo realisierbares, nämlich durch „Verzicht auf jede Form der politi-
schen Praxis“.167 In Zusammenhang mit Habecks Roman Der Piber (1965) sprach
Kraus davon, dass das Problem der „‚unbewältigte[n] Vergangenheit‘ nicht nur die
Jahre unter Hitler“ betreffe, „sondern außerdem jenes der tatsächlichen tausend
Jahre und mehr, mit deren Erbe der heutige Europäer zu leben hat.“168
Habeck, der von 1968 bis 1977 die Abteilung Literatur des ORF-Studios Wien
leitete, war seit den 1950er Jahren mit Kraus befreundet. Dieser begleitete nahe-
zu alle seiner Werke mit Besprechungen und verfasste unter dem Titel „Die ‚ver-
lorene Generation‘ diesseits der Grenzen“ ein Porträt Habecks, das 1960 in „Wort
in der Zeit“ erschien. Für Kraus zeigten Habecks literarische Arbeiten „das
Suchen nach Klarheit, nach Werten, das aus persönlichster Not kommende Stre-
ben nach der Prüfung vergangener Maßstäbe, und zwar nicht nur der gestrigen,
sondern auch der vorgestrigen und jener aller Traditionen“, und er bezeichnet
sie als „engagierte Literatur“, die sich „in jene Schwierigkeiten“ verbeiße, „die
sich im Übermaß für den geistig strebenden Menschen mitten in der Realität
ergeben“.169 Habeck, der aufgrund seines Werkes und der Schilderung des Zwei-
ten Weltkriegs als Militarist kritisiert, von den Konservativen jedoch als „Lin-
ker“ angesehen wurde, war für Kraus eine „der stärksten epischen Potenzen“170
der „Verlorenen Generation“ des Zweiten Weltkriegs.
Kraus gab in der seit 1956 erscheinenden Stiasny-Reihe „Das österreichische
Wort“ den schmalen Auswahlband In eigenem Auftrag der Werke Habecks her-
166 Wendelin Schmidt-Dengler: Das neue Land. Die Konzeption einer neuen österreichischen
Identität in der Literatur. In: Wolfgang Kos (Hg.): Inventur 45/55: Österreich im ersten Jahr-
zehnt der Zweiten Republik. Wien: Sonderzahl 1996, S. 404–440, hier S. 420.
167 Ebd.
168 Wolfgang Kraus: Buch der Woche. In: Kölnische Rundschau, 3. Oktober 1965.
169 Wolfgang Kraus: Die „verlorene Generation“ diesseits der Grenzen. In: Wort in der Zeit 6 (1960),
H. 1, S. 9–13, hier S. 10.
170 Wolfgang Kraus: Einleitung. In: Fritz Habeck: In eigenem Auftrag. Graz, Wien: Stiasny 1963,
S. 5–13, hier S. 5.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Der Literaturkritiker Kraus 235
Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Titel
- Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Autor
- Stefan Maurer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23312-1
- Abmessungen
- 15.8 x 24.0 cm
- Seiten
- 452
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- 1. EINLEITUNG: WOLFGANG KRAUS, EIN „KANTENLOSER HOMME DE LETTRES“? 9
- 2. DER ÖSTERREICHISCHE LITERATURBETRIEB NACH 1945 43
- 3. DIE ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR LITERATUR (1961–1975) 81
- 3.1 Gründung und Anfänge der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 83
- 3.2 Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 98
- 3.3 Die ÖGL und das Konzept einer österreichischen Literatur 124
- 3.4 Die ÖGL und „Wort in der Zeit“ 142
- 3.5 Eine „Heimatadresse“? Die ÖGL und die Exilliteratur 155
- 3.6 Forum der Jugend 180
- 3.7 Bemühungen um die Literatur der östlichen Nachbarn 183
- 3.8 Resümee 190
- 4. „DAS MANAGEMENT REISST NICHT AB“. WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE LITERATUR 193
- 5. KONTAKTPERSON, VERMITTLER, DOLMETSCHER: WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE KULTURPOLITIK 297
- 6. WOLFGANG KRAUS’ NETZWERKE IM KULTURELLEN KALTEN KRIEG 355
- 7. RESÜMEE 399
- 8. LITERATURVERZEICHNIS 403
- 9. PERSONENREGISTER 437