Seite - 270 - in Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
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ber war nicht nur als Autor, sondern als Vertrauensperson und väterlicher Freund
für Kraus eine wichtige Instanz, was sich in einem über zweieinhalb Dezennien
umfassenden Briefwechsel sowie zahlreichen Buchbesprechungen dokumen-
tiert.331
Als Sperber 1977 den „Großen Österreichischen Staatspreis für Literatur“
erhielt, blieben Kraus und die ÖGL jedoch außen vor, die Feierlichkeiten wur-
den vom österreichischen P.E.N.-Club und dem Europa-Verlag organisiert, den
Kraus zwei Jahre zuvor verlassen hatte, worüber er sich äußerst enttäuscht zeig-
te.332 Die Dankesrede, die Sperber anlässlich der Verleihung des „Friedensprei-
ses des Deutschen Buchhandels“ 1983 hielt, führte „neben überwältigenden
positiven Reaktionen“ auch zu einer „Protestwelle in den Reihen der Friedens-
bewegung“.333 Die Auszeichnung des „Renegaten“ Sperber wurde von den Kom-
munisten als „Provokation und als Akt des Unfriedens“334 im sich abermals
zuspitzenden Kalten Krieg empfunden, während sich auf der anderen Seite des
politischen Spektrums die deutsche Rechte in ihrem Antikommunismus bestä-
tigt fand. Kraus stand angesichts solcher Kontroversen stets hinter Sperber, er
begleitete die Verleihung des Friedenspreises publizistisch mit zahlreichen Wür-
digungen. Kraus ließ das Bild von Sperber „als fanatische[m] Antikommunisten,
als ‚Kalte[m] Krieger‘“ nicht gelten, vielmehr sah er in dessen „Totaleinsatz, sei-
ner kompromißlosen Schärfe“ sowohl in Frankreich, als „auch im westlichen
deutschsprachigen Gebiet gegen den Trend in den meisten Massenmedien und
Verlagen“335 zentrale Charakteristika von Sperbers Persönlichkeit. Darüber hin-
aus waren beide in den 1960er Jahren durch ihre kulturpolitischen Aktivitäten
im Kalten Krieg verbunden, denn Sperber stellte den Kontakt zum „Kongress
für kulturelle Freiheit“ her (vgl. Kapitel 6.2). Für Kraus zählte Sperber zu den
„grossen alten Männern der deutschsprachigen Literatur“, die mittlerweile sel-
tener geworden seien und rechnet dessen Werk zu „den schon klassisch gewor-
denen literarischen und politischen Dokumenten unserer Zeit, denn es schildert
mit gewaltiger epischer Kraft die schrecklichsten Jahrzehnte unseres Jahrhun-
331 Vgl. z. B. Wolfgang Kraus: Das Grundkonzept überschreitend. Zu Manès Sperbers Romanzy-
klus In: Wort in der Zeit 8 (1962), H. 6., S. 44–45.
332 „Jeder Tag enthält seinen scharfen Schuß, oder zumindest jede Woche: heute erklärte mir Sper-
ber, der Europa Verlag mache mit dem PEN einen großen Empfang zum Staatspreis – also nicht
mit der Literaturgesellschaft, die alles für Sperber (und den Staatspreis) getan hat.“ Vgl. Ders.:
Tagebuch, 26. September 1977, NL WK.
333 Mirjana Stančić: Manès Sperber. Leben und Werk. Frankfurt/M., Basel: Stroemfeld/Roter Stern
2003, S. 596.
334 Klaus Amann: Der postpurgatorische Optimist. Manès Sperbers Friedenspreisrede. In: Wil-
helm Hemecker, Mirjana Stančić (Hg.): Ein treuer Ketzer. Manès Sperber. Der Schriftsteller als
Ideologe. Wien: Zsolnay 2000 (= Profile 6), S. 88–103, hier S. 97.
335 Wolfgang Kraus: Manès Sperber und Wien. In: Stéphane Mosès (Hg.): Manès Sperber als Euro-
päer. Berlin: Hentrich 1996, S. 36–50, hier S. 42.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
270 Wolfgang Kraus und die österreichische Literatur
Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Titel
- Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Autor
- Stefan Maurer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23312-1
- Abmessungen
- 15.8 x 24.0 cm
- Seiten
- 452
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- 1. EINLEITUNG: WOLFGANG KRAUS, EIN „KANTENLOSER HOMME DE LETTRES“? 9
- 2. DER ÖSTERREICHISCHE LITERATURBETRIEB NACH 1945 43
- 3. DIE ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR LITERATUR (1961–1975) 81
- 3.1 Gründung und Anfänge der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 83
- 3.2 Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 98
- 3.3 Die ÖGL und das Konzept einer österreichischen Literatur 124
- 3.4 Die ÖGL und „Wort in der Zeit“ 142
- 3.5 Eine „Heimatadresse“? Die ÖGL und die Exilliteratur 155
- 3.6 Forum der Jugend 180
- 3.7 Bemühungen um die Literatur der östlichen Nachbarn 183
- 3.8 Resümee 190
- 4. „DAS MANAGEMENT REISST NICHT AB“. WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE LITERATUR 193
- 5. KONTAKTPERSON, VERMITTLER, DOLMETSCHER: WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE KULTURPOLITIK 297
- 6. WOLFGANG KRAUS’ NETZWERKE IM KULTURELLEN KALTEN KRIEG 355
- 7. RESÜMEE 399
- 8. LITERATURVERZEICHNIS 403
- 9. PERSONENREGISTER 437