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Mit Siegfried Lenz wurde 1985 einer der wichtigsten Vertreter der deutschen
Nachkriegsliteratur geehrt, die Jury bestand aus dem Historiker Gerhard Jagschitz,
dem Schriftsteller Gerald Szyszkowitz und Kraus selbst.342 Letzterer hielt die Lau-
datio, in der er auf die „Ähnlichkeiten zwischen Sperber und Siegfried Lenz“ hin-
wies, die sich für ihn deutlich zeigte im „Auftreten gegen politische Diktatur, die
Verantwortung für Moral, für Anständigkeit, für Nächstenhilfe als menschliche
Haltung, die sich im Gesamtwerk Manès Sperbers ebenso ausdrücklich wie in
jenem von Siegfried Lenz“343 manifestiere. Kraus schätzte das Lenz’sche Werk, wie
man auch dem Tagebuch entnehmen kann, kritisierte jedoch: „Sein Werk ist ohne
jede Transzendenz – das ist seine literarische Grenze. Er bleibt in der ethischen
Verbindlichkeit, die er sehr ernst nimmt, aber nicht erweitern kann.“344 Seit den
1950er Jahren hatte Kraus Lenz’ Neuerscheinungen besprochen.345
Wie Helga Perz der Witwe Jenka Sperber mitteilte, hatte die Gesellschaft im
November 1986 bereits 28 Mitglieder und die Subventionen beliefen sich auf
80.000 Schilling.346 Geplant war für den Herbst 1987 ein Symposion, das dann
zwischen 23. und 25.
November in Kooperation mit der Österreichischen Nati-
onalbibliothek, komplementiert durch eine Ausstellung, stattfand.
Probleme ergaben sich im Verlauf der Jurysitzung, die den nachfolgenden
Preisträger bestimmen sollte. Die im Februar 1987 zusammengetretene Jury des
Wissenschaftsministeriums, die von Fischer eingesetzt worden war und sich aus
dem Verleger Erhard Löcker, dem Ministerialrat Rudolf Burger und Kraus zusam-
mensetzte, konnte sich auf keinen Kandidaten einigen, da die beiden ersteren
Franz Schuh favorisierten, den Kraus ablehnte: „Und die dreiköpfige Jury setzte
sich abermals zusammen. Dermal stimmten Burger und Löcker für den Aktio-
nisten-Literaten Oswald Wiener, und wiederum steuerte Kraus dagegen an.
Erhard Löcker […]: ‚er hat sich aufg‘führt, lautstark und verbal aggressiv.‘ Fak-
tum ist aber: Ossi Wiener (‚Die Eroberung Mitteleuropas‘) [sic] wurde von der
Jury mehrheitlich für den Manès-Sperber-Preis ausgewählt.“347 Kraus, der den
Literaturwissenschaftler Claudio Magris nominiert hatte, unterlag.
Kraus war ob der Nominierung Schuhs sofort aktiv geworden und hatte Heinz
Fischer kontaktiert, um diesen Kandidaten zu verhindern: „Inzwischen habe ich
342 Vgl. Neue Zeit (Graz), 2. Februar 1985, S. 4.
343 Wolfgang Kraus: Laudatio für Siegfried Lenz zur Überreichung des Manès Sperber Staatsprei-
ses, am 4.
März 1985, ms. Ts., Österreichische Nationalbibliothek, Literaturarchiv, Wien, ÖLA
9/90, Redaktionsarchiv „Literatur und Kritik“, Sign.: 9/B 2446.
344 Ders.: Tagebuch, 5. Februar 1985, NL WK.
345 Vgl. z. B. Wolfgang Kraus: „Siegfried Lenz, Der Mann im Strom“. In: Stuttgarter Zeitung,
23. November 1957; ders.: „Jäger des Spotts“. Erzählungen von Siegfried Lenz. In: Kölner
Stadt-Anzeiger, 19. April 1958.
346 Vgl. Helga Perz an Jenka Sperber, 3. November 1986, ÖGL-Archiv.
347 N. N.: Tuppy düpiert die Juroren. In: Arbeiter-Zeitung, 21. November 1987, S. 27.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
272 Wolfgang Kraus und die österreichische Literatur
Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Titel
- Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Autor
- Stefan Maurer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23312-1
- Abmessungen
- 15.8 x 24.0 cm
- Seiten
- 452
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- 1. EINLEITUNG: WOLFGANG KRAUS, EIN „KANTENLOSER HOMME DE LETTRES“? 9
- 2. DER ÖSTERREICHISCHE LITERATURBETRIEB NACH 1945 43
- 3. DIE ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR LITERATUR (1961–1975) 81
- 3.1 Gründung und Anfänge der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 83
- 3.2 Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 98
- 3.3 Die ÖGL und das Konzept einer österreichischen Literatur 124
- 3.4 Die ÖGL und „Wort in der Zeit“ 142
- 3.5 Eine „Heimatadresse“? Die ÖGL und die Exilliteratur 155
- 3.6 Forum der Jugend 180
- 3.7 Bemühungen um die Literatur der östlichen Nachbarn 183
- 3.8 Resümee 190
- 4. „DAS MANAGEMENT REISST NICHT AB“. WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE LITERATUR 193
- 5. KONTAKTPERSON, VERMITTLER, DOLMETSCHER: WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE KULTURPOLITIK 297
- 6. WOLFGANG KRAUS’ NETZWERKE IM KULTURELLEN KALTEN KRIEG 355
- 7. RESÜMEE 399
- 8. LITERATURVERZEICHNIS 403
- 9. PERSONENREGISTER 437