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beim durch einen Gewaltakt hervorgegangenen Kandidaten für den Manès-
Sperber-Preis in seinem einzigen Buch eine unflätige Stelle über Manès Sperber
gefunden […]. Daß man einem solchen Mann, der sich über Sperber in der
gewissenlosesten Weise äußert, einen Sperber-Preis zu verleihen sich anschickt,
halte ich für unverantwortbar.“348 Eine Kopie der von Kraus inkriminierten
Textpassage aus Schuhs Essayband Liebe, Macht und Heiterkeit sandte er nicht
nur an Sperbers Witwe Jenka, sondern auch an Heinz Fischer:
Jedenfalls ist die Identität, die die große Literatur uns konserviert, eine europäische
und keine lokale. Daran knüpft, ein Verwandter des kommerziellen, der Bildungs-
mythos an. Ihn verbreiten Institutionen und die Schreckgestalten unseres Geistes-
lebens, Herr Wolfgang Kraus von der Gesellschaft für Literatur zum Beispiel, Herr
Sperber aus Paris, immer ein Schwätzchen über Europa, über den Rest der Welt
und über uns als den Mittelpunkt von allem, das Ballett der schlafraubenden Gestal-
ten, ein schauerliches Personal, ihre Namen sind vergänglich, aber ihr Typus ist
hier für immer eingebürgert, eine Wiederkehr der ewig Gleichen, leerer Gedanke,
vornehmer Ton.349
Schuh, der Kraus bereits während seiner Tätigkeit im Exekutivkomitee der Gra-
zer Autorenversammlung in den 1970er Jahren sowie als Kritiker der Zeitschrift
„profil“ attackiert hatte (vgl. Kap. 4.4), verzichtete auf den Preis. Auch Oswald
Wiener, der für seinen 1969 erschienenen Text die verbesserung von mitteleuro-
pa ausgezeichnet werden sollte, konnte Kraus als Preisträger schlussendlich ver-
hindern.
Da aber in den Statuten des Preises festgelegt war, dass die Werke des Auszu-
zeichnenden zugänglich sein mussten, und die Bücher von Kraus’ Favoriten
Claudio Magris nicht übersetzt bzw. vergriffen waren, fanden Löcker und Bur-
ger darin ein zentrales Argument, gegen diesen Kandidaten zu stimmen. Dieses
Argument blieb jedoch unberücksichtigt und wirkungslos, da Kraus bei höheren
Stellen interveniert hatte. Wissenschaftsminister Hans Tuppy ignorierte den
Mehrheitsbeschluss der Jury und stimmte der Verleihung an Magris zu: „Holen
wir aber zum Abschluß noch Wolfgang Kraus’ kurzbündige Meinung ein: ‚Der
Minister hat entschieden, und so ist es.‘ Und aus dem Wissenschaftsministeri-
um langte das Tatwort ein: ‚Es is’ alles fertig, beschlossen, durch‘.“350
In einem offenen Brief an Tuppy gaben Burger und Löcker ihren Rücktritt
aus der Jury bekannt:
348 Wolfgang Kraus an Jenka Sperber, 1. Dezember 1989, ÖGL-Archiv.
349 Franz Schuh: Über das Wienerische. In: Liebe, Macht und Heiterkeit. Essays. Klagenfurt: Rit-
ter 1985, S. 71.
350 N. N.: Tuppy düpiert die Juroren. In: Arbeiter-Zeitung, 21. November 1987, S. 27.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Literatur-Preise 273
Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Titel
- Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Autor
- Stefan Maurer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23312-1
- Abmessungen
- 15.8 x 24.0 cm
- Seiten
- 452
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- 1. EINLEITUNG: WOLFGANG KRAUS, EIN „KANTENLOSER HOMME DE LETTRES“? 9
- 2. DER ÖSTERREICHISCHE LITERATURBETRIEB NACH 1945 43
- 3. DIE ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR LITERATUR (1961–1975) 81
- 3.1 Gründung und Anfänge der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 83
- 3.2 Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 98
- 3.3 Die ÖGL und das Konzept einer österreichischen Literatur 124
- 3.4 Die ÖGL und „Wort in der Zeit“ 142
- 3.5 Eine „Heimatadresse“? Die ÖGL und die Exilliteratur 155
- 3.6 Forum der Jugend 180
- 3.7 Bemühungen um die Literatur der östlichen Nachbarn 183
- 3.8 Resümee 190
- 4. „DAS MANAGEMENT REISST NICHT AB“. WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE LITERATUR 193
- 5. KONTAKTPERSON, VERMITTLER, DOLMETSCHER: WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE KULTURPOLITIK 297
- 6. WOLFGANG KRAUS’ NETZWERKE IM KULTURELLEN KALTEN KRIEG 355
- 7. RESÜMEE 399
- 8. LITERATURVERZEICHNIS 403
- 9. PERSONENREGISTER 437