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für die Abteilung Gesellschaftspolitische Forschung. Ist es richtig, daß ein wei-
sungsgebundener Beamter die Berufung als stimmberechtigter Juror in die Jury
seines eigenen Ministeriums annimmt?“357
Löcker konterte die „ermüdenden Polemiken der Herren Brix und Dr.
Kraus“
mit dem Argument, dass diese „nicht darüber hinwegtäuschen“ könnten, dass
„sich beide auf sachlicher Ebene in Argumentationsnotstand befinden und sich
in ihren eigenen Widersprüchen verstricken“.358 Er bekrittelte Kraus’ fachliche
Kompetenz, da ein irrtümlicher Druckfehler Wieners verbesserung von mittel-
europa vor 36 Jahren erscheinen ließ,359 mokierte sich über Kraus’ „unzumut-
bare[] Bevormundung“, da dieser konstatiert hatte, dass zu Magris’ „‚Bedeutung
und Verdienste[n]‘“ nichts gesagt zu werden brauche und erkannte in dieser
„Sache angesichts so selbstgerecht vertretener Eigenmächtigkeit metternichsche
Dimensionen.“360
Kraus, der seine Interessen hier durchsetzen konnte, bedeutete „die Preisver-
gabe an Magris, die Überwindung aller tückischen Hindernisse […] sehr viel.
Eine Abrundung der Verbundenheit mit Sperber.“361
Im Anschluss an den Skandal knüpfte sich eine neue Konstruktion des Prei-
ses an, indem ein zwölfköpfiger Literaturbeirat eingesetzt und der Preis nun
jährlich, abwechselnd durch die Ressorts des Wissenschafts- bzw. Unterrichts-
ministeriums, vergeben wurde: Nun gab es einen Sperber-Preis für Wissenschaf-
ten und einen für Literatur.362 Kraus, dessen Einfluss im Unterrichtsministeri-
um eher gering war, gehörte dem Literaturbeirat an, wollte aber sein „Bestes tun,
um irgendeinen Blödsinn zu verhindern. Die Mehrzahl der Jury besteht aus sehr
vernünftigen Leuten.“363
1989 sollte der Schriftsteller Albert Drach den Preis erhalten, 1990 ging er an
den ungarischen Schriftsteller, Essayisten und Soziologen György Konrad, der
357 Dr. Wolfgang Kraus: Manès-Sperber-Preis. In: Profil, 7. Dezember 1987, Nr. 49, S. 12 f.
358 Erhard Löcker: Manès-Sperber-Preis. In: Profil, 21. Dezember 1987, S. 6, 8.
359 Wolfgang Kraus: Manès-Sperber-Preis. In: Profil, 4. Jänner 1988, Nr. 1, S. 7 „Die Zeitangabe
des Erscheinens von O. Wieners ‚die verbessung von mitteleuropa‘ wurde durch einen Fehler
des Setzers (wie sich leicht aus dem Originalbrief, der in der Redaktion vorliegt, nachweisen
läßt) von ‚vor 26‘ auf ‚36‘ Jahre verändert. […] Weiters: für den Manès-Sperber-Preis gab es –
wie bei den großen Staatspreisen und Würdigungspreisen – keine Bewerbungen, also konnte
Franz Schuh nicht von einer Kandidatur zurücktreten. Erst die Anfrage des Ministers an den
vorgesehenen Preisträger verschaffte diesem die Möglichkeit, zurückzutreten. Eine solche
Anfrage ist im Falle Franz Schuh nicht erfolgt.“
360 Ebd., S. 8.
361 Ders.: Tagebuch, 30. November 1987, NL WK.
362 Die Jury bestand aus dem Literaturbeirat beim Bundesministerium für Unterricht und Kunst,
Sport, die erweitert, wurde um Hans Heinz Hahnl, Adolf Haslinger, Nils Jensen, Kurt Kahl,
Wolfgang Kraus, Wendelin Schmidt-Dengler, Johannes Twaroch und Walter Weiss.
363 Wolfgang Kraus an Jenka Sperber, 15. Februar 1989, ÖGL-Archiv.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Literatur-Preise 275
Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Titel
- Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Autor
- Stefan Maurer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23312-1
- Abmessungen
- 15.8 x 24.0 cm
- Seiten
- 452
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- 1. EINLEITUNG: WOLFGANG KRAUS, EIN „KANTENLOSER HOMME DE LETTRES“? 9
- 2. DER ÖSTERREICHISCHE LITERATURBETRIEB NACH 1945 43
- 3. DIE ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR LITERATUR (1961–1975) 81
- 3.1 Gründung und Anfänge der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 83
- 3.2 Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 98
- 3.3 Die ÖGL und das Konzept einer österreichischen Literatur 124
- 3.4 Die ÖGL und „Wort in der Zeit“ 142
- 3.5 Eine „Heimatadresse“? Die ÖGL und die Exilliteratur 155
- 3.6 Forum der Jugend 180
- 3.7 Bemühungen um die Literatur der östlichen Nachbarn 183
- 3.8 Resümee 190
- 4. „DAS MANAGEMENT REISST NICHT AB“. WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE LITERATUR 193
- 5. KONTAKTPERSON, VERMITTLER, DOLMETSCHER: WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE KULTURPOLITIK 297
- 6. WOLFGANG KRAUS’ NETZWERKE IM KULTURELLEN KALTEN KRIEG 355
- 7. RESÜMEE 399
- 8. LITERATURVERZEICHNIS 403
- 9. PERSONENREGISTER 437