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Anders bezieht sich auf den Artikel Der ästhetische Nihilismus,391 ein Abdruck
aus Kraus’ Essayband Nihilismus heute, der neben einer Würdigung von Hans
Paeschke zu Anders’ 80. Geburtstag platziert worden war.392 Interessanterweise
wurde Anders’ Brief an Schwab-Felisch Kraus in die Hände gespielt, befindet
sich doch eine Abschrift in dessen Nachlass.
So rangierte Kraus’ öffentliche Wahrnehmung vom „Literaturpolyp, der, Posi-
tionen an sich saugend, zur grauen Eminenz der Schreiberszene wuchs“393 bis
hin zum „Oberförster des österreichischen Literaturbetriebs“394. Franz Schuh
hat Kraus’ Omnipräsenz im Literaturbetrieb als von einem „mythischen Schwei-
gen umgeben“ beschrieben und hinsichtlich seiner literatur- und kulturpoliti-
schen Positionen konstatiert: „Sein Stern ist von der Art, daß er, versinkend,
gleichzeitig anderswo aufgeht, der König ist tot, es lebe der König.“395
Der über die Jahrzehnte unwandelbare, konservierende und traditionsbe-
wusste Habitus von Kraus führte dazu, dass er spezifische Positionen aufrecht-
erhielt und dabei auf diverse Praktiken zurückgriff, die sich für ihn bewehrt
hatten, was naturgemäß zu Widerspruch führte, der mit der Ausdifferenzierung
des literarischen Feldes in Zusammenhang stand. Für seine Thesen über Kultur
kritisierten ihn sogar die als rechts-konservativ zu bezeichnenden „Salzburger
Nachrichten“ und sparten dabei nicht mit Gehässigkeiten:
Ein Mann, randvoll mit Plattitüden und Gemeinplätzen, trat am Donnerstag auf
Einladung des PEN-Clubs Salzburg in den Räumen der Internationalen Salzburg
Association auf und sprach sich ‚für Kultur und gegen das Chaos‘ aus. […] Kraus
fährt starke Geschütze auf und ist sich der Zustimmung so gewiß, daß er alles im
Vagen belassen kann und nie konkret wird. Seine Philippika trägt er nur, weil er
alles, was in der Kunst seit den fünfziger Jahren geschehen ist, ignoriert oder pau-
schal verdammt. Handke und Jelinek, Jandl und Bernhard, Canetti und Artmann,
nichts ist von Belang, und nur deshalb darf Kraus die gewagte These aufstellen,
daß das schöpferische Potential in die Naturwissenschaften abgewandert sei. Ich
weiß auch nicht, wo Wolfgang Kraus lebt, in der Gegenwart jedenfalls nicht.396
391 Wolfgang Kraus: Der ästhetische Nihilismus. Ein Beitrag aus dem Aspekt Österreichs. In: Mer-
kur 36 (1982), H. 7, S. 729–732.
392 Vgl. Hans Paeschke: Auf dem Kopf gehen. Günter Anders zum achtzigsten Geburtstag. In: ebd.,
S. 732–736.
393 N. N.: Arabesken des Lebens. In: Profil, 25. Jänner 1977, S. 54 f., hier S. 54.
394 Horst Ebner: Kafka, Fink und Guglhupf. In: Falter, Nr. 5, 4.–10. Februar 1994, S. 55.
395 Schuh: Literatur und Macht am Beispiel Österreichs der siebziger Jahre. In: Liebe, Macht und
Heiterkeit, S. 197 f.
396 N.
N.: Front gegen die Moderne. Ein Kulturkritiker raunzt. In: Salzburger Nachrichten, 22.
Juni
1996.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
282 Wolfgang Kraus und die österreichische Literatur
Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Titel
- Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Autor
- Stefan Maurer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23312-1
- Abmessungen
- 15.8 x 24.0 cm
- Seiten
- 452
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- 1. EINLEITUNG: WOLFGANG KRAUS, EIN „KANTENLOSER HOMME DE LETTRES“? 9
- 2. DER ÖSTERREICHISCHE LITERATURBETRIEB NACH 1945 43
- 3. DIE ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR LITERATUR (1961–1975) 81
- 3.1 Gründung und Anfänge der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 83
- 3.2 Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 98
- 3.3 Die ÖGL und das Konzept einer österreichischen Literatur 124
- 3.4 Die ÖGL und „Wort in der Zeit“ 142
- 3.5 Eine „Heimatadresse“? Die ÖGL und die Exilliteratur 155
- 3.6 Forum der Jugend 180
- 3.7 Bemühungen um die Literatur der östlichen Nachbarn 183
- 3.8 Resümee 190
- 4. „DAS MANAGEMENT REISST NICHT AB“. WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE LITERATUR 193
- 5. KONTAKTPERSON, VERMITTLER, DOLMETSCHER: WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE KULTURPOLITIK 297
- 6. WOLFGANG KRAUS’ NETZWERKE IM KULTURELLEN KALTEN KRIEG 355
- 7. RESÜMEE 399
- 8. LITERATURVERZEICHNIS 403
- 9. PERSONENREGISTER 437