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Die GAV macht darauf aufmerksam, daß es im literarischen Leben Österreichs zu
einer einmaligen Machtkonzentration auf eine Person gekommen ist: Herr Wolf-
gang Kraus ist tätig im ORF [...], ist tätig in der unmittelbaren Bundesverwaltung
(Kulturangelegenheiten im Auswärtigen Amt), in der mittelbaren Bundesverwal-
tung (Leiter der Österreichischen Gesellschaft für Literatur), ist tätig in der Jury
des Wildgans-Preises der Industriellenvereinigung, ist tätig in der Jury des Staat-
spreises für Kulturpublizistik,407 ist tätig für den Hauptverband des Österreichi-
schen Buchhandels (Einleitungsreferat der Buchwoche), für den D[eutschen]A[ka-
demischen]A[ustausch]D[ienst] und für andere private Stiftungen. Der
Tätigkeitsbereich des Herrn Wolfgang Kraus ist auf diese Weise zu einem Netz der
österreichischen Kulturpolitik geworden. Es ist für Schriftsteller fast unmöglich,
diesem Netz zu entkommen. Die GAV glaubt daher [...], daß eine solche Häufung
von Funktionen nicht im Interesse der Demokratie und der freien Entwicklung
unseres literarischen Lebens liegen kann.408
Der Text erschien in „Wespennest“, herausgegeben von Gustav Ernst, der in der
Folge das GAV-Exekutivkomitee gegen die nun folgenden vereinsinternen Strei-
tigkeiten verteidigte. Dies verwundert kaum, hatte Ernst doch in seinem 1979
erschienen Roman Einsame Klasse, der das kulturpolitische Klima der 1970er
Jahre schildert und die damit einhergehenden produktionsästhetischen Verhält-
nisse für Schriftstellerinnen und Schriftsteller thematisiert, Kraus kaum ver-
schlüsselt, als „Nachahmung eines pessimistischen Kulturphilosophen“ bezeich-
nete, der mit „bekannteren Reaktionären nicht nur in einer Literaturgesellschaft,
sondern auch im Fernsehen gern Sinnfragen erörtert“.409
Anlässlich einer GAV-Vorstandssitzung im November 1979 schrieb Ernst in
einem Brief, der, „wenn die Sache Kraus am Tapet steht“, zu verlesen wäre, dass
er die Vorgehensweise des Komitees billige und er es als selbstverständlich erach-
te, dass die GAV gegen solche Monopolisierungen im Literaturbetrieb auftreten
sollte.410
Eine „Mitteilung für Vorstandsmitglieder“ von Franz Schuh hält fest, dass die
„Aussendung über die Ämterkumulierung des Wolfgang Kraus […] bei einigen
Kollegen auf Widerstand gestoßen“ sei, und „zwar in Bezug darauf, daß eine für
die GAV und die Kulturpolitik derartig wichtige Angelegenheit von drei Men-
407 Kraus merkt in seinem Tagebuch am 19. Oktober 1979 an: „Jurysitzung im Unterrichtsminis-
terium für den Kulturpublizistik-Staatspreis; nach vielleicht acht Jahren bin ich das erste Mal
wieder in einer staatlichen oder städtischen Jury, ein Zeichen dafür, dass die wilde linke Wel-
le vorüber ist.“
408 Wespennest 11 (1979), Nr. 36, S. 53.
409 Gustav Ernst: Einsame Klasse. Wien: Deuticke 1995, S. 99.
410 Gustav Ernst an die GAV, 15. November 1979, GAV-Archiv, Mappe 314/B51-56.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Polemiken und Kämpfe im Feld 285
Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Titel
- Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Autor
- Stefan Maurer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23312-1
- Abmessungen
- 15.8 x 24.0 cm
- Seiten
- 452
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- 1. EINLEITUNG: WOLFGANG KRAUS, EIN „KANTENLOSER HOMME DE LETTRES“? 9
- 2. DER ÖSTERREICHISCHE LITERATURBETRIEB NACH 1945 43
- 3. DIE ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR LITERATUR (1961–1975) 81
- 3.1 Gründung und Anfänge der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 83
- 3.2 Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 98
- 3.3 Die ÖGL und das Konzept einer österreichischen Literatur 124
- 3.4 Die ÖGL und „Wort in der Zeit“ 142
- 3.5 Eine „Heimatadresse“? Die ÖGL und die Exilliteratur 155
- 3.6 Forum der Jugend 180
- 3.7 Bemühungen um die Literatur der östlichen Nachbarn 183
- 3.8 Resümee 190
- 4. „DAS MANAGEMENT REISST NICHT AB“. WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE LITERATUR 193
- 5. KONTAKTPERSON, VERMITTLER, DOLMETSCHER: WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE KULTURPOLITIK 297
- 6. WOLFGANG KRAUS’ NETZWERKE IM KULTURELLEN KALTEN KRIEG 355
- 7. RESÜMEE 399
- 8. LITERATURVERZEICHNIS 403
- 9. PERSONENREGISTER 437