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Kraus nahm in einem Gutachten dann konkret zum Antrag Stellung: „Her-
bert Kuhner ist ein überaus schwacher Autor, von dem kaum angenommen wer-
den kann, dass er Österreich in gutem Sinne vertreten wird. Es ist aufschluss-
reich, dass Herr Kuhner, der 40 Jahre alt ist, bisher noch kein Buch in deutscher
Sprache veröffentlicht hat. Lediglich Beiträge in Anthologien und Zeitschriften
sind von ihm erschienen. Von einer Unterstützung seiner Reise nach Australien
ist daher abzuraten.“427
Die österreichische Botschaft in London hatte nach Kuhners Artikel im „Index“
in einem offiziellen Schreiben an das Außenministerium den Artikel beigelegt
und darauf hingewiesen, dass Kuhner sich „ueber die Behandlung beschwert, die
ihm in Osterreich zuteil werde. Im Besonderen konzentriert sich seine Beschwer-
de auf Dr. Wolfgang Kraus“.428 Kraus war in der Folge einerseits darum bemüht,
diesem Angriff ein Statement entgegenzusetzen, andererseits seinen guten Ruf
nicht zu verlieren, dürfte es ihm doch besonders unangenehm gewesen sein, dass
sich diese Affäre international auszubreiten begonnen hatte. In diesem Fall war
Kraus zur Schadensbegrenzung gezwungen. Zunächst sandte er eine Richtigstel-
lung an den „Index“, in der er Kuhners Artikel zu entkräften versuchte:
If all authors, who fail to attain in the West the success they feel is due to them,
wanted to publicise this in ‚Index‘ in the form of an attack, the magazine would
soon be the size of an encyclopaedia. […] I do not harbour any desire nor am I
empowered to declare any author in Austria – a well functioning democracy, after
all – ‚persona non grata‘. I have also never attempted this with Herbert Kuhner.
[…] I am very sorry that Herbert Kuhner never received the stipendium he applied
for; this does happen and is no sign of suppression. I regret this confusion of per-
spective between democracy and dictatorship, which ‚Index‘ obviously has suc-
cumbed to in this case.429
Kuhner trat rasch mit einer Entgegnung hervor, in der er die Veröffentlichung
aller Briefe forderte, die vom österreichischen Außenministerium nach Austra-
427 Kraus’ Gutachten, das sich im Archiv der ÖGL befindet, ist in einem Konvolut enthalten, das
in einem Kuvert aufbewahrt wird, das verzeichnet: „Laut Auskunft Ges[andten]. Dr. [Harald]
Vavrik soll Kontaktstelle das inliegende Material vorläufig verwahren. 1/3/76“. Dies ist das ein-
zige literarische Gutachten, das im Rahmen der Recherchen ausfindig gemacht werden konn-
te. Der Informationsgewinn aus solchen Gutachten von Kraus’ Hand wäre enorm, vermutlich
jedoch nicht allzu überraschend gewesen. Da die Gutachten der „Kontaktstelle“ keine Akten-
zahlen trugen, dürften diese im Laufe der Zeit vom Außenministerium skartiert worden sein.
428 Österreichische Botschaft [London] an das Bundesministerium für Auswärtige Angelegenhei-
ten, 4. Juni 1976, ebd.
429 Wolfgang Kraus: Persona non grata in Austria? In: Index on Censorship 5 (1976), H. 6, S. 66–67,
hier S. 66.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Polemiken und Kämpfe im Feld 289
Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Titel
- Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Autor
- Stefan Maurer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23312-1
- Abmessungen
- 15.8 x 24.0 cm
- Seiten
- 452
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- 1. EINLEITUNG: WOLFGANG KRAUS, EIN „KANTENLOSER HOMME DE LETTRES“? 9
- 2. DER ÖSTERREICHISCHE LITERATURBETRIEB NACH 1945 43
- 3. DIE ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR LITERATUR (1961–1975) 81
- 3.1 Gründung und Anfänge der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 83
- 3.2 Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 98
- 3.3 Die ÖGL und das Konzept einer österreichischen Literatur 124
- 3.4 Die ÖGL und „Wort in der Zeit“ 142
- 3.5 Eine „Heimatadresse“? Die ÖGL und die Exilliteratur 155
- 3.6 Forum der Jugend 180
- 3.7 Bemühungen um die Literatur der östlichen Nachbarn 183
- 3.8 Resümee 190
- 4. „DAS MANAGEMENT REISST NICHT AB“. WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE LITERATUR 193
- 5. KONTAKTPERSON, VERMITTLER, DOLMETSCHER: WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE KULTURPOLITIK 297
- 6. WOLFGANG KRAUS’ NETZWERKE IM KULTURELLEN KALTEN KRIEG 355
- 7. RESÜMEE 399
- 8. LITERATURVERZEICHNIS 403
- 9. PERSONENREGISTER 437