Seite - 292 - in Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
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ren, da er an einer Anthologie für „Cross-Cultural Communications“ arbeitete,
welche die zeitgenössische österreichische Lyrik repräsentieren sollte und fand
seine Lesung in der ÖGL „most enjoyable“.446
Für Kraus dürfte diese „Causa“ damit beigelegt gewesen sein, aber bereits im
folgenden Jahr wurde ihm ein aufgezeichnetes Telefongespräch zum Verhäng-
nis. Im Jänner 1976 hatte sich Wolfgang Mayer-König, der als Sekretär des Bun-
deskanzlers mit den Arbeitsschwerpunkten Kultur, Bildung, Wissenschaft und
Forschung betraut war, und 1968 mit der „Literarischen Situation“, dem Kultur-
forum der Hochschüler der ÖGL Konkurrenz gemacht hatte, bei Kraus wegen
Kuhner erkundigt und gefragt, ob dieser „irgend etwas in der Sache veranlaßt“
habe, was Kraus verneinte und meinte, die Sache sei nicht über ihn gegangen:
„Ich hab eine Beurteilung gegeben. Also, es ist ein Akt gekommen – na, und da
hab’ ich eine Stellungnahme geschrieben. Es wurde von mir eine Stellungnahme
eingeholt. […] Die war negativ. […] ich habe es nicht befürwortet. Aber es ist
nie von mir ein Brief abgegangen.“447
Mayer-König dürfte das Gespräch an die Medien weitergegeben haben, weil
Kraus den Antrag um ein Reisestipendium Mayer-Königs abgelehnt hatte, für
das er aufgrund eines Vortrages im Österreichischen Kulturinstitut in New York
auf Einladung von Fritz Cocron angesuchte hatte: „Aus sachlichen Gründen ist
eine solche Vortragsreise nicht zu empfehlen.“448 Einer „Information für den
Herrn Bundesminister“ lässt sich entnehmen: „Hingegen hat sich der Leiter der
Kontaktstelle in außerordentlicher Deutlichkeit gegen die Durchführung einer
solchen Vortragsreise ausgesprochen, wobei er auf Grund seiner eingehenden
Kenntnis des bisherigen schmalen Werkes und des bisherigen kulturellen Wir-
kens Herrn Mayer-Königs für Vorträge über die von ihm vorgeschlagenen The-
men für inkompetent hält und feststellt, daß aus sachlichen Gründen eine solche
Vortragsreise nicht zu empfehlen ist.“449 Über die Genehmigung der Reisekos-
ten sollte nun der Bundesminister selbst entscheiden.
Die Causa dürfte in der Folge bis vor die Bürotür von Bundeskanzler Bruno
Kreisky gelangt sein, der Kraus schrieb, dass ihm dies „insoferne nicht ange-
nehm“ sei, „als ich grundsätzlich Praktiken der von Ihnen relevierten [v. lat.
‚Relevieren‘, erleichtern, von einer Last befreien] Art ablehne und ich es daher
mit unangenehmer Überraschung vermerkt habe, daß mein Büro mit solchen
446 Herbert Kuhner an Wolfgang Kraus, 26. Oktober 1976, ÖGL-Archiv.
447 Aufzeichnung über ein privates Telefongespräch zwischen mir und Dr.
Wolfgang Kraus, Leiter
der Kontaktstelle im Bundesministerium für Äußere Angelegenheiten, am Donnerstag, den
13. Jänner 1976 um 14.10 Uhr, ÖGL-Archiv.
448 Wolfgang Kraus: Stellungnahme, 6. Oktober 1975, Zl. 224.14.3.04/1-V-4-/75, ÖGL-Archiv.
449 Information für den Herrn Bundesminister, Wien, 6. Oktober 1975, Zl. 224.14.3.04/1-V.4/75,
ÖGL-Archiv.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
292 Wolfgang Kraus und die österreichische Literatur
Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Titel
- Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Autor
- Stefan Maurer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23312-1
- Abmessungen
- 15.8 x 24.0 cm
- Seiten
- 452
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- 1. EINLEITUNG: WOLFGANG KRAUS, EIN „KANTENLOSER HOMME DE LETTRES“? 9
- 2. DER ÖSTERREICHISCHE LITERATURBETRIEB NACH 1945 43
- 3. DIE ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR LITERATUR (1961–1975) 81
- 3.1 Gründung und Anfänge der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 83
- 3.2 Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 98
- 3.3 Die ÖGL und das Konzept einer österreichischen Literatur 124
- 3.4 Die ÖGL und „Wort in der Zeit“ 142
- 3.5 Eine „Heimatadresse“? Die ÖGL und die Exilliteratur 155
- 3.6 Forum der Jugend 180
- 3.7 Bemühungen um die Literatur der östlichen Nachbarn 183
- 3.8 Resümee 190
- 4. „DAS MANAGEMENT REISST NICHT AB“. WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE LITERATUR 193
- 5. KONTAKTPERSON, VERMITTLER, DOLMETSCHER: WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE KULTURPOLITIK 297
- 6. WOLFGANG KRAUS’ NETZWERKE IM KULTURELLEN KALTEN KRIEG 355
- 7. RESÜMEE 399
- 8. LITERATURVERZEICHNIS 403
- 9. PERSONENREGISTER 437