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Künstlerin bzw. dem Künstler eine Funktion als „Identifikationsfigur, Skandal-
lieferant und Animator“67 zuwies. In diesen Jahren wuchs die Literaturförderung
um zirka das Fünffache an, von 3,5 Millionen im Jahr 1970/71 auf 18,4 Millio-
nen Schilling bis zum Jahr 1980. 1972 wurde ein Gesetz zur Förderung der Pub-
lizistik verabschiedet, das zur Gründung von zahlreichen Zeitschriften- und
Kleinverlagen führte, z. B. „Frischfleisch“ (1971), „Podium“ (1971), „Das Pult“
(1969), „Die Pestsäule“ (1972) von Reinhard Federmann. 1975 eröffnete Rein-
hard Urbach, der seine Lehrjahre in der ÖGL geleistet hatte, das Kulturzentrum
„Alte Schmiede“ in Wien, das ebenfalls literarische Lesungen veranstaltete.
Die 1980er Jahre waren innenpolitisch bestimmt vom Ende der Alleinregie-
rung der SPÖ unter Bruno Kreisky, dem Übergang zur kleinen Koalition zwi-
schen SPÖ und FPÖ (1983 bis 1986) und der darauffolgenden großen Koalition
von SPÖ und ÖVP sowie dem Einzug der Partei „Die Grünen“ ins Parlament.
Des Weiteren determinierten die Bundespräsidentenwahl 1986, die Debatte über
einen Beitritt Österreichs zur Europäischen Gemeinschaft sowie zahlreiche Skan-
dale und Affären sowohl das politische, als auch das literarische Feld. Die res-
taurative „Österreich-Ideologie“ der 1950er Jahre, wie Klaus Zeyringer festge-
halten hat, wurde in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre zunehmend in Frage
gestellt und die um Kontinuität bemühten Traditionslinien von einer engagier-
ten Literatur attackiert, wobei sich sogar die „von der Repräsentationskultur
propagierten Autoren und Autorinnen“ kritisch äußerten und dabei „freilich
von ihrer Repräsentanz-Funktion auch profitierten“.68
Kraus geriet innerhalb der neuen politischen Konstellation der 1970er Jahre
zunächst ins Hintertreffen, wie er Manès Sperber berichtete: „Freitag war ich
bei Kulturminister [Fred] Sinowatz, der mir auch nicht gerade Sympathien ent-
gegenbringt“, und konnte „bei so schweren Problemen (für westliche Verhält-
nisse) im österreichischen Kulturleben nicht den Mund halten.“69 „Die Sozial-
demokraten sind nach wie vor voller Misstrauen und vertragen, so Kraus,
„keine leiseste Kritik, auch nicht hinter geschlossenen Türen. Wenn ich beden-
ke, wie hart ich Bundeskanzler Klaus, Minister [Theodor] Piffl[-Perčević] und
andere ÖVP-Spitzen in Gesprächen kritisiert habe, muß ich staunen.“70 Für Kraus
änderte die Situation auch hinsichtlich seiner Beziehung zum Unterrichtsminis-
67 Michaela Judy: „Die Biene beißt, die Schlange sticht, Dies tue ich fürs Gleichgewicht“ (Andreas
Okopenko) Literaturförderung der siebziger Jahre. In: Wolfgang Bandhauer, Jeff Bernard, Glo-
ria Withalm (Hg.): Sozialdemokratie: Zeichen, Spuren, Bilder. Wien: Passagen 1993 (= Passa-
gen Politik), S. 123–128, hier S. 124 f.
68 Klaus Zeyringer: Innerlichkeit und Öffentlichkeit. Österreichische Literatur der achtziger Jah-
re. Tübingen: Francke 1992, S. 99.
69 Wolfgang Kraus an Manès Sperber, 3. Februar 1974, NL WK.
70 Wolfgang Kraus an Manès Sperber, 3. Februar 1974, NL WK.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
312 Kontaktperson, Vermittler, Dolmetscher
Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Titel
- Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Autor
- Stefan Maurer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23312-1
- Abmessungen
- 15.8 x 24.0 cm
- Seiten
- 452
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- 1. EINLEITUNG: WOLFGANG KRAUS, EIN „KANTENLOSER HOMME DE LETTRES“? 9
- 2. DER ÖSTERREICHISCHE LITERATURBETRIEB NACH 1945 43
- 3. DIE ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR LITERATUR (1961–1975) 81
- 3.1 Gründung und Anfänge der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 83
- 3.2 Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 98
- 3.3 Die ÖGL und das Konzept einer österreichischen Literatur 124
- 3.4 Die ÖGL und „Wort in der Zeit“ 142
- 3.5 Eine „Heimatadresse“? Die ÖGL und die Exilliteratur 155
- 3.6 Forum der Jugend 180
- 3.7 Bemühungen um die Literatur der östlichen Nachbarn 183
- 3.8 Resümee 190
- 4. „DAS MANAGEMENT REISST NICHT AB“. WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE LITERATUR 193
- 5. KONTAKTPERSON, VERMITTLER, DOLMETSCHER: WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE KULTURPOLITIK 297
- 6. WOLFGANG KRAUS’ NETZWERKE IM KULTURELLEN KALTEN KRIEG 355
- 7. RESÜMEE 399
- 8. LITERATURVERZEICHNIS 403
- 9. PERSONENREGISTER 437