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posien und Disputationen, solche gemeinsamen Gespräche in Wien in Zukunft
noch öfter geschehen könnten.“102
Darüber hinaus verfasste Kraus über die im Kulturforum herrschende Stim-
mungslage einen ausführlichen Bericht für das Außenministerium:
Die Stimmung des Arbeitskreises IV. (gegenseitiges Kennenlernen) lockerte sich
nach einem noch recht steifen Montag […] immer erfreulicher. Die sowjetische
Delegation fürchtete offenbar freie Zeiträume, die von der Schweizer Präsident-
schaft für Diskussion genützt werden wollte. Sogleich wurde ein sowjetischer Gelehr-
ter angemeldet, der recht überrascht anfing, seine Autobiographie zu erzählen […].
Alle ärgerten sich. Freie Diskussion gab es zwar auch später nicht, doch wurde vom
‚Recht auf Erwiderung‘ häufig Gebrauch gemacht, was leicht ging und sehr bele-
bend wirkte. Die anfängliche Spannung zwischen den Sowjets und den USA war
deutlich […]. Nie wurde aber beleidigend, billig oder phrasenhaft argumentiert.103
Auch in „Krisenzeiten“ war Kraus als kulturpolitischer Sachverständiger gern
gesehen, so etwa, als das „Image“ Österreichs im Zuge der Affäre um den Poli-
tiker Kurt Waldheim und dessen NS-Verstrickungen, die mit dem Wahlkampf
um das Amt des Bundespräsidenten 1986 begonnen hatten, schweren Schaden
nahm.104 Um das Bild Österreichs aufzupolieren, veranstaltete das Außenminis-
terium einen „Image“-Gipfel, der Ende Juli 1986 in Wien stattfand. Der öster-
reichische UN-Botschafter Karl Fischer hatte in einem Bericht den Ansehens-
verlust Österreichs vor allem in den USA, aber auch in anderen Ländern der
Vereinten Nationen betont, der mit der Wahl Waldheims zum Bundespräsiden-
ten einhergegangen war. So sollten neben „der Rückgewinnung eines positiven
Österreich-Bildes“105 auch die zeitgeschichtlichen Forschungen intensiviert wer-
den, um für Aufklärung zu sorgen, weshalb die Bundesregierung im Sommer
1986 einen Grundsatzausschuss einrichtete, der neben Ministerialbeamten auch
aus Historikern und Publizisten bestand. Diese waren „alle vornehmlich libe-
ral-konservative Protagonisten der ‚Koalitionsgeschichtsschreibung‘“ und wur-
den mit der Aufgabe betraut, einen „‚Maßnahmenkatalog für ein umfassendes
Österreichbild‘“106 zu entwickeln. Cornelius Lehnguth hat konstatiert, dass die-
102 Ebd.
103 Wolfgang Kraus: KSZE-Kulturforum, Budapest, ms. Ts., Bl. 3, ÖGL-Archiv.
104 Vgl. Michael Gehler: „… eine grotesk überzogene Dämonisierung eines Mannes“. Die Wald-
heim-Affäre 1986–1992. In: Ders., Hubert Sickinger (Hg.): Politische Affären und Skandale in
Österreich. Von Mayerling bis Waldheim. 2. durchges. u. erw. Ausg. Thaur, Wien, München:
Kulturverl. 1996, S. 614–666.
105 Cornelius Lehnguth: Waldheim und die Folgen. Der parteipolitische Umgang mit dem Natio-
nalsozialismus in Österreich. Frankfurt/M., New York: Campus-Verl. 2013, S. 122.
106 Ebd.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Jenseits der Parteipolitik? 319
Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Titel
- Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Autor
- Stefan Maurer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23312-1
- Abmessungen
- 15.8 x 24.0 cm
- Seiten
- 452
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- 1. EINLEITUNG: WOLFGANG KRAUS, EIN „KANTENLOSER HOMME DE LETTRES“? 9
- 2. DER ÖSTERREICHISCHE LITERATURBETRIEB NACH 1945 43
- 3. DIE ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR LITERATUR (1961–1975) 81
- 3.1 Gründung und Anfänge der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 83
- 3.2 Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 98
- 3.3 Die ÖGL und das Konzept einer österreichischen Literatur 124
- 3.4 Die ÖGL und „Wort in der Zeit“ 142
- 3.5 Eine „Heimatadresse“? Die ÖGL und die Exilliteratur 155
- 3.6 Forum der Jugend 180
- 3.7 Bemühungen um die Literatur der östlichen Nachbarn 183
- 3.8 Resümee 190
- 4. „DAS MANAGEMENT REISST NICHT AB“. WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE LITERATUR 193
- 5. KONTAKTPERSON, VERMITTLER, DOLMETSCHER: WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE KULTURPOLITIK 297
- 6. WOLFGANG KRAUS’ NETZWERKE IM KULTURELLEN KALTEN KRIEG 355
- 7. RESÜMEE 399
- 8. LITERATURVERZEICHNIS 403
- 9. PERSONENREGISTER 437