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Kraus überlegte, wie man Österreichs Reputation im Ausland verbessern kön-
ne, an dem „einige Zehntausend in wichtigen Positionen entscheidend“ mitge-
wirkt hätten, „[ü]brigens sogar einige Schriftsteller – [Elias] Canetti, [Manès]
Sperber, [Christine] Busta, nun stocke ich schon“, und monierte, dass die „meis-
ten anderen“110 eher mit Österreich-Beschimpfungen aufgetreten seien. Seit Ende
der 1970er Jahre und vor allem in den 1980er Jahren konstituierte sich, „während
parallel dazu die generelle Unschuldsvermutung für die österreichische Kriegsge-
sellschaft im Deutschen Reich in Frage gestellt wurde“111, eine zunehmend öster-
reichkritische Literatur, die auch international reüssierte, z. B. im Falle von Peter
Turrini und Elfriede Jelinek. Denn je stärker die Hegemonie im literarischen Feld
von konservativen und restaurativen Kräften bestimmt wurde, desto heftiger oppo-
nierten Autorinnen und Autoren in ihren Texten dagegen, wobei letztlich der
„österreichische Solipsismus Erfolg und internationale Anerkennung“112 zeitigte.
Auch wenn diese Konstellationen auf Österreich-Kritik aufbauten, gilt es dabei
auch zu berücksichtigen, dass dieser „Trend“ ein „wirtschaftlich genützter“113 war.
Kraus brachte im Zuge dieser „Image“-Kampagne dem Ministerialrat des
Wissenschaftsministeriums Wilhelm Schlag „verschiedene Vorschläge“ und woll-
te ein Projekt realisiert sehen, das er „schon zu [s]einer Zeit im Außenministe-
rium“ nicht durchgebracht habe und das als Ausstellung konzipiert war, die den
Titel „Österreichs Beitrag zur Entwicklung der Zivilisation“114 tragen sollte. Die-
ses Projekt propagierte Kraus auch in seiner Glosse, die in der „Furche“ erschien,
allerdings ohne damit einen nennenswerten Erfolg zu erzielen. In diesem Arti-
kel betonte er, dass „uns in dieser Situation meiner Meinung nach am wirksams-
ten die Kultur helfen kann“ und beklagte sich darüber, dass sein „seit fünfzehn
Jahren vorgeschlagene[s] Projekt einer wissenschaftlich-technischen Ausstellung
im Ausland, […] wo Ludwig Boltzmann, die Kaplan-Turbine, Siegmund [sic]
Freud, Alfred Adler, Julius Wagner-Jauregg, Karl Landsteiner, Erwin Schrödin-
ger, Wolfgang Pauli und deren Leistungen dargestellt wären“, auf taube Ohren
stoße: „Es wird nicht überraschen, daß sich viele weltberühmte Persönlichkeiten
jüdischer Herkunft darunter befinden. Sie waren Österreicher, und unsere Kul-
tur (und die Welt) verdankt ihnen Entscheidendes. Wollen wir also unser Image
verbessern oder nicht?“115
Ein weiterer Vorschlag, der dem Image-Verlust der Republik entgegenwirken
sollte, war eine „Art ‚Weißbuch‘ […] über die wahre, unversehrte Geschichte
110 Ders.: Tagebuch, 15. Mai 1987, NL WK.
111 Oliver Rathkolb: Die paradoxe Republik. Österreich 1945 bis 2010. Innsbruck: Haymon 2011,
S. 333.
112 Ebd., S. 334.
113 Zeyringer: Innerlichkeit und Öffentlichkeit, S. 102.
114 Wolfgang Kraus an Heinz Fischer, 14. November 1986, ÖGL-Archiv.
115 Ders.: Die Kultur bringt’s. In: Die Furche, Nr. 29, 17. Juli 1987.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Jenseits der Parteipolitik? 321
Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Titel
- Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Autor
- Stefan Maurer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23312-1
- Abmessungen
- 15.8 x 24.0 cm
- Seiten
- 452
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- 1. EINLEITUNG: WOLFGANG KRAUS, EIN „KANTENLOSER HOMME DE LETTRES“? 9
- 2. DER ÖSTERREICHISCHE LITERATURBETRIEB NACH 1945 43
- 3. DIE ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR LITERATUR (1961–1975) 81
- 3.1 Gründung und Anfänge der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 83
- 3.2 Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 98
- 3.3 Die ÖGL und das Konzept einer österreichischen Literatur 124
- 3.4 Die ÖGL und „Wort in der Zeit“ 142
- 3.5 Eine „Heimatadresse“? Die ÖGL und die Exilliteratur 155
- 3.6 Forum der Jugend 180
- 3.7 Bemühungen um die Literatur der östlichen Nachbarn 183
- 3.8 Resümee 190
- 4. „DAS MANAGEMENT REISST NICHT AB“. WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE LITERATUR 193
- 5. KONTAKTPERSON, VERMITTLER, DOLMETSCHER: WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE KULTURPOLITIK 297
- 6. WOLFGANG KRAUS’ NETZWERKE IM KULTURELLEN KALTEN KRIEG 355
- 7. RESÜMEE 399
- 8. LITERATURVERZEICHNIS 403
- 9. PERSONENREGISTER 437