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nur die Unkenntnis der theatermäßigen und literarischen Leistungen dieses auch
noch sehr sympathischen Mannes, sondern überhaupt eine totale Fremdheit gegen-
über dem kulturellen Leben. Nicht zu reden davon, daß wir in der Phase einer
schweren Imagekrise nicht derart fuhrwerken sollen. Warum äußert sich Michael
Graff in dieser Sache überhaupt? Graff ist Altschotte wie ich, also ärgere ich mich
besonders und bin traurig. Auf solche Weise werden auch die konservativen Intel-
lektuellen des Kulturlebens durch die ÖVP vor den Kopf stoßen.182
Die Organisation und Vorbereitung für die „Europalia“ lag im Spannungsfeld
dieses „Kulturkampfes“, der mit dem veränderten politischen Selbstverständnis
von Autorinnen und Autoren zusammenhing, die ob der unaufgearbeiteten Ver-
gangenheit Österreichs in ihren literarischen und essayistischen Werken ein kri-
tisches Bild der Zweiten Republik entwarfen. Die Politisierung des literarischen
Feldes und seiner Akteurinnen und Akteure sollte sowohl hinsichtlich der Ein-
ladungspolitik als auch des Programms, das Kraus realisiert sehen wollte, Wir-
kung zeigen und für Kontroversen sorgen.
Die „Europalia“, ein großangelegtes Kunstfestival, fand seit 1969 in Belgien im
Zwei- bis Drei-Jahresrhythmus statt, wobei jeweils ein europäisches Land seine
„ererbte und aktuelle Kultur in Manifestationen verschiedenster Art präsentier-
te“.183 „Europalia“ ist eine Kombination aus den Worten „Europa“ und „Opalia“,
eines altrömischen Festes zu Ehren der Fruchtbarkeitsgöttin Ops. Bei der Aus-
richtung des Festivals waren Österreich Italien (1969), die Niederlande (1971),
Großbritannien (1973), Frankreich (1975), die BRD (1977), Belgien (1980),
Griechenland (1982) und Spanien (1985) vorausgegangen.
Bereits im Juni 1984 hatte die österreichische Botschaft von Brüssel die Anfra-
ge erhalten, ob Österreich geneigt wäre, die „Europalia“ 1987 zu gestalten. Die
Konzipierung fiel in den Aufgabenbereich des Bundesministeriums für Auswär-
tige Angelegenheiten, das jedoch im Vornherein festgestellt hatte, dass ein der-
artiges Unterfangen nicht aus dem regulären Budget zu bestreiten sei, weshalb
eine Sonderfinanzierung von den Ressortchefs des Bundesministeriums für
Unterricht sowie des Bundesministeriums für Wissenschaft und Forschung vor-
genommen wurde. Ein dahingehender Beschluss des Ministerrats wurde am
4.
Juni 1985 gefasst, der festhielt, dass die „Europalia“ die „einzigartige Chance“
Österreichs „zu einer kulturellen Selbstdarstellung in europäischen Dimensio-
nen“ sei und das Land „damit seine Entschlossenheit, im Rahmen seiner Mög-
lichkeiten an der Integration Europas mitzuarbeiten, sinnfällig unterstreichen“184
182 Ebd.
183 Europalia 87 – Österreich. Für Kuratoriumssitzung, 12. November 1986, ÖGL-Archiv.
184 Ebd.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
„Europalia 1988“ 339
Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Titel
- Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Autor
- Stefan Maurer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23312-1
- Abmessungen
- 15.8 x 24.0 cm
- Seiten
- 452
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- 1. EINLEITUNG: WOLFGANG KRAUS, EIN „KANTENLOSER HOMME DE LETTRES“? 9
- 2. DER ÖSTERREICHISCHE LITERATURBETRIEB NACH 1945 43
- 3. DIE ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR LITERATUR (1961–1975) 81
- 3.1 Gründung und Anfänge der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 83
- 3.2 Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 98
- 3.3 Die ÖGL und das Konzept einer österreichischen Literatur 124
- 3.4 Die ÖGL und „Wort in der Zeit“ 142
- 3.5 Eine „Heimatadresse“? Die ÖGL und die Exilliteratur 155
- 3.6 Forum der Jugend 180
- 3.7 Bemühungen um die Literatur der östlichen Nachbarn 183
- 3.8 Resümee 190
- 4. „DAS MANAGEMENT REISST NICHT AB“. WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE LITERATUR 193
- 5. KONTAKTPERSON, VERMITTLER, DOLMETSCHER: WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE KULTURPOLITIK 297
- 6. WOLFGANG KRAUS’ NETZWERKE IM KULTURELLEN KALTEN KRIEG 355
- 7. RESÜMEE 399
- 8. LITERATURVERZEICHNIS 403
- 9. PERSONENREGISTER 437