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dem sofort und erfolgreich erledigt.“212 Die Veranstalter hatten Elfriede Jelinek,
Gerhard Roth, Michael Scharang und Peter Turrini ins Auge gefasst, Kraus ver-
suchte politisches Gegengewicht in die Waagschale zu werfen, darunter Mitglie-
der des österreichischen P.E.N.-Clubs wie György Sebestyén und Milo Dor, die
jedoch von Brüssel aus „entweder überhaupt nicht realisiert, oder auf so unge-
schickte Weise entriert“ wurden, dass „viele Absagen erfolgten“. Die politischen
Motive von Moulaert bewertete Kraus als „offenbar sehr radikal“ und vereinbar-
te ein Gespräch mit ihr, „bei dem ich noch auf einigen kompensativen Vorschlä-
gen bestehen“ werde, denn mit „einem politisch einseitigen Programm“213 sei er
nicht einverstanden. Franz Ceska bat er dabei um Unterstützung, denn „auf dem
Gebiet der Literatur“ sei „jetzt noch sehr vieles“ zu machen,214 wenn er ihn dabei
unterstütze. Der belgische Kulturjournalist Jean-Pierre Rondas monierte bei einer
Sitzung im Mai 1987 noch, so lässt sich Kraus’ Tagebuch entnehmen, dass weder
Gerhard Roth noch Elfriede Jelinek, die erst im Dezember 1986 den Heinrich-
Böll-Preis entgegengenommen hatte, vorgeschlagen worden waren. Rondas hielt
Kraus entgegen, „[m]an sei nicht ‚links‘“ und eben jene Autorinnen und Autoren,
die im Ausland, etwa in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ oder der „Zeit“
wahrgenommen würden, fehlten auf der „Europalia“.215
Kraus’ Bemühungen, Österreich politisch möglichst kohärent zu präsentie-
ren und den linken Autorinnen und Autoren keine allzu große Plattform zu
bieten, waren in Belgien nicht von Erfolg gekrönt. Jean-Pierre Rondas hatte im
Vorfeld bereits am 2. September 1987 ein Interview mit Elfriede Jelinek „Wie
schriift die bliifft: Elfriede Jelinek“ im belgischen Sender BRT-TV gesendet.216
Er war aber auch als Übersetzer von Ilse Aichingers Erzählung Notrufstation
in Erscheinung getreten, die im November 1987 in der Zeitschrift „Muziek &
Woord“ erschien.217 Es stellte sich heraus, dass Rondas, Kraus’ „Partner und
Gegner in der Europalia – die Linksradikalen allein ([Peter] Turrini, [Micha-
el] Scharang, Elfriede Jelinek, Gerhard Roth, [Marie-Thérèse] Kerschbaumer)
als repräsentative österr[eichische]. Gegenwartsliteratur in einem TV-Film
212 Ders. an Franz Ceska, 30. April 1987, ebd.
213 Ebd.
214 Ebd.
215 Ders.: Tagebuch, 22. Mai 1987, NL WK.
216 Vgl. FWF-Projekt „Grazer Gruppe“. Bibliographie zur internationalen Rezeption Elfriede
Jelineks. In: Daniela Bartens (Hg.): Elfriede Jelinek. Die internationale Rezeption. Graz, Wien:
Droschl 1997 (= Dossier Extra), S. 300–348, hier S. 308.
217 Vgl. Lepold R. G. Decloedt: Literatur zu Gast. Die Rezeption deutschsprachiger Literatur im
niederländischen Raum in den siebziger und achtziger Jahren. In: Ders. (Hg.): Rezeption, Inter-
aktion und Integration. Niederländischsprachige und deutschsprachige Literatur im Kontext.
Wien: Praesens 2004 (= Wiener Schriften zur niederländischen Sprache und Kultur 3), S. 65–84,
hier S. 74.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
„Europalia 1988“ 345
Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Titel
- Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Autor
- Stefan Maurer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23312-1
- Abmessungen
- 15.8 x 24.0 cm
- Seiten
- 452
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- 1. EINLEITUNG: WOLFGANG KRAUS, EIN „KANTENLOSER HOMME DE LETTRES“? 9
- 2. DER ÖSTERREICHISCHE LITERATURBETRIEB NACH 1945 43
- 3. DIE ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR LITERATUR (1961–1975) 81
- 3.1 Gründung und Anfänge der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 83
- 3.2 Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 98
- 3.3 Die ÖGL und das Konzept einer österreichischen Literatur 124
- 3.4 Die ÖGL und „Wort in der Zeit“ 142
- 3.5 Eine „Heimatadresse“? Die ÖGL und die Exilliteratur 155
- 3.6 Forum der Jugend 180
- 3.7 Bemühungen um die Literatur der östlichen Nachbarn 183
- 3.8 Resümee 190
- 4. „DAS MANAGEMENT REISST NICHT AB“. WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE LITERATUR 193
- 5. KONTAKTPERSON, VERMITTLER, DOLMETSCHER: WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE KULTURPOLITIK 297
- 6. WOLFGANG KRAUS’ NETZWERKE IM KULTURELLEN KALTEN KRIEG 355
- 7. RESÜMEE 399
- 8. LITERATURVERZEICHNIS 403
- 9. PERSONENREGISTER 437