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führte.229 Während etwa in den 1970er und frühen 1980er Jahren zwischen
Autoren wie Gerhard Roth oder Peter Turrini und der SPÖ eine „Politik der
Umarmung“230 stattgefunden hatte, wurde diese nun durch ein grundsätzliches
Misstrauen gegenüber dem Staat abgelöst. Gegen den Umgang mit der eigenen
Geschichte, wie dies exemplarisch im Zuge der Affäre Waldheim geschah, oppo-
nierten zahlreiche Schriftstellerinnen und Schriftsteller. Das von Milo Dor her-
ausgegebene Buch Die Leiche im Keller. Dokumente des Widerstands gegen Dr.
Kurt
Waldheim (1988) versammelte Beiträge von Schriftstellerinnen und Schriftstel-
lern, die unterschiedlichen politischen Lagern zuzurechnen sind, das Spektrum
reicht dabei von ‚links‘ bis hin zu ‚konservativ‘, darunter u. a. Erich Fried, Bar-
bara Frischmuth, Peter Handke, Josef Haslinger, Peter Henisch, Elfriede Jelinek,
Marie-Thérèse Kerschbaumer, Peter Rosei, Gerhard Roth, Michael Scharang,
Jutta (heute Julian) Schutting, György Sebestyén, Hilde Spiel, Peter Turrini und
Hans Weigel.231
Hinsichtlich der österreichischen Avantgarde sah Kraus bereits etablierte Schrift-
stellerinnen und Schriftsteller für Auftritte vor. Ernst Jandl und Friederike May-
röcker sollten mit drei Musikern des Vienna Art Orchestra auftreten, ebenso
wie „Gerhard Rühm (mit Klavier), Alfred Kolleritsch und H. C. Artmann“, die
„aus ihren Texten lesen“ könnten: „Beides zusammen könnte unter dem Titel
‚Österreichische Avantgarde heute‘ vorgestellt werden und entweder zwei Aben-
de oder einen Nachmittag und Abend umfassen“.232 Mayröcker und Jandl bedank-
ten sich zunächst noch für die „Vermittlung einer Teilnahme an der Europali-
a“,233 Jandl sagte jedoch schlussendlich ab. Er begründete dies nicht mit politischen,
sondern gesundheitlichen Ursachen, da er einen „hüfthohen Gipsverband“ am
rechten Bein trage und „keineswegs sicher“ sei, ob „mein physischer und psy-
chischer Zustand im Oktober dieses Jahres stabil genug sein wird, um mir die
Reise nach Belgien und die aktive Teilnahme an der Europalia zu gestatten“.234
Mayröcker dagegen nahm an der Veranstaltung „Entretiens et Performances
Wiener Avant-Garde“ neben dem Komponisten Otto M. Zykan und dem fran-
zösischen Germanisten Jacques Le Rider teil.
Kraus erfuhr, dass die Brüsseler Programmkoordinatorin sowohl Wolfgang
Bauer als auch Peter Turrini 45.000 Schilling für eine Zusage angeboten hatte,
„eine Null zu viel“, meinte Kraus dazu und kritisierte, dass etwa in den Einla-
229 Vgl. Zeyringer: Innerlichkeit und Öffentlichkeit, S. 95.
230 Ebd.
231 Vgl. Ebd., S. 96.
232 Wolfgang Kraus an Madou Moulaert, 12. Jänner 1987, ÖGL-Archiv.
233 Friederike Mayröcker an Wolfgang Kraus, 4. März 1987, ÖGL-Archiv.
234 Ernst Jandl an Madou Moulaert, 24. März 1987, ÖGL-Archiv. [Eine Kopie dieses Schreibens
erging auch an Kraus].
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
348 Kontaktperson, Vermittler, Dolmetscher
Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Titel
- Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Autor
- Stefan Maurer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23312-1
- Abmessungen
- 15.8 x 24.0 cm
- Seiten
- 452
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- 1. EINLEITUNG: WOLFGANG KRAUS, EIN „KANTENLOSER HOMME DE LETTRES“? 9
- 2. DER ÖSTERREICHISCHE LITERATURBETRIEB NACH 1945 43
- 3. DIE ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR LITERATUR (1961–1975) 81
- 3.1 Gründung und Anfänge der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 83
- 3.2 Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 98
- 3.3 Die ÖGL und das Konzept einer österreichischen Literatur 124
- 3.4 Die ÖGL und „Wort in der Zeit“ 142
- 3.5 Eine „Heimatadresse“? Die ÖGL und die Exilliteratur 155
- 3.6 Forum der Jugend 180
- 3.7 Bemühungen um die Literatur der östlichen Nachbarn 183
- 3.8 Resümee 190
- 4. „DAS MANAGEMENT REISST NICHT AB“. WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE LITERATUR 193
- 5. KONTAKTPERSON, VERMITTLER, DOLMETSCHER: WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE KULTURPOLITIK 297
- 6. WOLFGANG KRAUS’ NETZWERKE IM KULTURELLEN KALTEN KRIEG 355
- 7. RESÜMEE 399
- 8. LITERATURVERZEICHNIS 403
- 9. PERSONENREGISTER 437