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subventioniert.35 Dagegen war die Sowjetunion mit ihren eigenen Propagand-
aprojekten beschäftigt, hatte sie doch bis Mitte der 1950er Jahre bereits über 40
Millionen pro-sowjetische Bücher im Ausland verbreitet, woran auch die zwi-
schen von 1947 bis 1956 bestehende Kominform großen Anteil hatte.36
In Österreich befanden sich sechs Sowjetische Informationszentren, die über
eine Bibliothek, Vortrags- und Veranstaltungsräume sowie – im Falle des Infor-
mationszentrums im Wiener Porr-Haus – über ein Kino verfügten.37 Dort lag
nicht nur ein umfangreiches Sortiment kommunistischer Zeitschriften auf, son-
dern es wurden Lesungen und Buchausstellungen wie „Das sowjetische Buch“
(1952) und „Kinder- und Jugendbücher aus der Sowjetunion“ (1954) veranstal-
tet. Das Sowjetische Informationszentrum in der Treitlstraße im vierten Wie-
ner Gemeindebezirk verfügte sogar über eine eigene Literaturabteilung, die ein
fortlaufendes Programm von literarischen Vorträgen, Buchbesprechungen,
Lesungen und Autorinnen- und Autorenabenden anbot. Dort traten auch jun-
ge österreichische Schriftstellerinnen und Schriftsteller wie Hugo Abel, Walter
Paul Kirsch oder Josef Toch auf,38 die heute als vergessen gelten müssen.
Der Praxis, verbotene Flugschriften und Literatur etwa mittels Gasballon hin-
ter den „Eisernen Vorhang“ zu senden, um dort für eine ideologische Unter-
wanderung zu sorgen, folgte die „Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit“ in
Berlin.39 Finanziert von der CIA versandte das „Free Europe Committee“ ab
1956 Bücher in den Osten, die dort verboten oder nicht erhältlich waren, um
damit im Rahmen der ideologischen und kulturellen Kriegsführung gegen die
Sowjetunion die politischen Meinungen und Haltungen der Eliten hinter dem
„Eisernen Vorhang“ zu beeinflussen. Insgesamt gelangten auf diesem Weg ca.
zehn Millionen Bücher in den Osten, wobei Wien ein zentraler Knotenpunkt
dieser Kulturpropaganda war.40
35 Amanda Laugesen: Books for the World. American Book Programs in the Developing World,
1948–1968, In: Greg Barnhisel, Catherine Turner (Hg.): Pressing the Fight. Print, Propaganda,
and the Cold War. Amherst, Boston: Univ. of Massachusetts Press 2010, S. 126–143.
36 Vgl. Greg Barnhisel, Catherine Turner: Introduction. In: Dies. (Hg.): Pressing the Fight,
S. 1–28.
37 Vgl. Wolfgang Mueller: „Leuchtturm des Sozialismus“ oder „Zentrum der Freundschaft“? Das
Sowjetische Informationszentrum im Wiener ‚Porr-Haus‘: ein Instrument der Besatzungspolitik
zwischen Volksbildung und Propaganda. In: Wiener Geschichtsblätter 55 (2000), H. 4, S. 261–285.
38 Vgl. dazu Österreichische Zeitung, 28. März 1951. Zit. n. Mueller: „Leuchtturm des Sozialis-
mus“, S. 267.
39 Zur „Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit“ vgl. Kai-Uwe Merz: Kalter Krieg als antikom-
munistischer Widerstand. Die Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit 1948–1959. München:
R. Oldenburg 1987 (= Studien zur Zeitgeschichte 34); Karl Wilhelm Fricke, Roger Engelmann:
„Konzentrierte Schläge.“ Staatssicherheitsaktionen und politische Prozesse in der DDR 1953–
1956. Berlin: Ch. Links Verl. 1998, S. 80 f.
40 Vgl. Alfred A. Reisch: Hot Books in the Cold War. The CIA-Funded Secret Western Book Dis-
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Der kulturelle Kalte Krieg in Europa 363
Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Titel
- Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Autor
- Stefan Maurer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23312-1
- Abmessungen
- 15.8 x 24.0 cm
- Seiten
- 452
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- 1. EINLEITUNG: WOLFGANG KRAUS, EIN „KANTENLOSER HOMME DE LETTRES“? 9
- 2. DER ÖSTERREICHISCHE LITERATURBETRIEB NACH 1945 43
- 3. DIE ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR LITERATUR (1961–1975) 81
- 3.1 Gründung und Anfänge der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 83
- 3.2 Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 98
- 3.3 Die ÖGL und das Konzept einer österreichischen Literatur 124
- 3.4 Die ÖGL und „Wort in der Zeit“ 142
- 3.5 Eine „Heimatadresse“? Die ÖGL und die Exilliteratur 155
- 3.6 Forum der Jugend 180
- 3.7 Bemühungen um die Literatur der östlichen Nachbarn 183
- 3.8 Resümee 190
- 4. „DAS MANAGEMENT REISST NICHT AB“. WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE LITERATUR 193
- 5. KONTAKTPERSON, VERMITTLER, DOLMETSCHER: WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE KULTURPOLITIK 297
- 6. WOLFGANG KRAUS’ NETZWERKE IM KULTURELLEN KALTEN KRIEG 355
- 7. RESÜMEE 399
- 8. LITERATURVERZEICHNIS 403
- 9. PERSONENREGISTER 437