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kommunisten“ einzudämmen und die Organisation zu „intellektualisieren“ und
zu „kulturalisieren“. Josselson verwirklichte damit eine Grundidee, und zwar
dem Ostblock an einer Stelle entgegenzutreten, an der er besonders verwundbar
schien: in den Künsten und Wissenschaften. Sein Programm wandte sich an die
geistigen Eliten Westeuropas, um auf diesem Weg mit Hilfe eines „intelligenten
Antikommunismus und Proamerikanismus größere Multiplikatoreneffekte“59
zu erzielen. Neben den von Josselson initiierten internationalen Kongressen,
Austauschen, Vorträgen und Arbeitsgruppen kam noch ein weiterer Aspekt die-
ses „Kulturkrieges“, der seit den 1950er Jahren in Europa geführt wurde, hinzu:
die Subventionierung von Zeitschriften in Frankreich, Italien, Großbritannien,
Westdeutschland und Österreich, die sich an die jeweiligen Intellektuellen des
Landes richteten. Bekannt ist etwa, dass zu den Organen des CCF das 1953 von
Friedrich Torberg gegründete „FORVM“ gehörte, nicht nur als Gegengewicht
zum vom Politiker und Schriftsteller Ernst Fischer herausgegebenen „Tagebuch“
gedacht,60 sondern auch um einen Brückenschlag zu den deutsch-sprechenden
Dissidenten in Ungarn herzustellen. Weitere vom CCF herausgegebene und
finanzierte Zeitschriften waren z. B. der „Monat“ in Deutschland und „Encoun-
ter“ in England. François Bondy, der Redakteur der französischen Kongress-Ga-
zette „Preuves“, war zugleich für die Koordination aller CCF-Periodika verant-
wortlich und brachte eine liberalere antikommunistische Perspektive in die
französischen Debatten ein.61 Der polnische Schriftsteller Konstanty Jeleński,
ein „Vordenker des CCF“62 und regelmäßiger Beiträger der polnischen Exil-
zeitschrift „Kultura“ in Paris, spielte ebenfalls eine wichtige Rolle innerhalb des
„kalten Kulturkriegs“, der von Paris aus geführt wurde. Die Zusammenarbeit
mit der „Kultura“ brachte dem CCF eine „verstärkte Präsenz ostmitteleuropäi-
scher Autoren und Themen“63 in seinen Zeitschriften wie „Preuves“ und „Der
Monat“.
Wolfgang Kraus’ Kontakt zu diesen beiden Funktionären des CCF kam über
Manès Sperber zustande, mit dem ihn seit ihrem ersten Zusammentreffen in
Sperbers Büro im Pariser Verlagshaus Calmann-Lévy 1961 eine Freundschaft
59 Berghahn: Transatlantische Kulturkriege, S. 172.
60 Zur kommunistischen Zeitschrift Tagebuch vgl. Norbert Griesmayer: Die Zeitschrift ‚Tagebuch‘.
Ergänzende Beobachtungen zur kulturpolitischen Situation in den fünfziger Jahren. In: Frie-
dbert Aspetsberger, Norbert Frei und Hubert Lengauer (Hg.): Literatur der Nachkriegszeit und
der fünfziger Jahre in Österreich. Wien: ÖBV 1984 (= Schriften des Instituts für Österreich-
kunde 44/45), S. 75–111; Alfred Pfoser: Stalins Brückenköpfe. Der Kalte Krieg im und um das
Tagebuch. In: Rohrwasser, Hansel (Hg.): Kalter Krieg in Österreich, S. 228–243.
61 Vgl. Berghahn: Transatlantische Kulturkriege, S. 180.
62 Ebd., S. 338.
63 Bernard Wiaderny: Der Kongress für kulturelle Freiheit und die polnische Exilzeitschrift „Kul-
tura“. In: Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung 60 (2011), H. 1, S. 50–78, hier S. 77
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Die Round-Table-Gespräche der ÖGL 369
Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Titel
- Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Autor
- Stefan Maurer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23312-1
- Abmessungen
- 15.8 x 24.0 cm
- Seiten
- 452
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- 1. EINLEITUNG: WOLFGANG KRAUS, EIN „KANTENLOSER HOMME DE LETTRES“? 9
- 2. DER ÖSTERREICHISCHE LITERATURBETRIEB NACH 1945 43
- 3. DIE ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR LITERATUR (1961–1975) 81
- 3.1 Gründung und Anfänge der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 83
- 3.2 Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 98
- 3.3 Die ÖGL und das Konzept einer österreichischen Literatur 124
- 3.4 Die ÖGL und „Wort in der Zeit“ 142
- 3.5 Eine „Heimatadresse“? Die ÖGL und die Exilliteratur 155
- 3.6 Forum der Jugend 180
- 3.7 Bemühungen um die Literatur der östlichen Nachbarn 183
- 3.8 Resümee 190
- 4. „DAS MANAGEMENT REISST NICHT AB“. WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE LITERATUR 193
- 5. KONTAKTPERSON, VERMITTLER, DOLMETSCHER: WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE KULTURPOLITIK 297
- 6. WOLFGANG KRAUS’ NETZWERKE IM KULTURELLEN KALTEN KRIEG 355
- 7. RESÜMEE 399
- 8. LITERATURVERZEICHNIS 403
- 9. PERSONENREGISTER 437