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ne“7 widersetzte. Kraus ging jedoch nicht davon aus, dass diese Strömungen
„Produkte reine[r] Spielereien, eine Art geistige Frivolität“8 seien und gab sich
nach außen relativ liberal: „Ich bejahe diese Kunst im Sinne einer Materialer-
stellung für Kommendes, und ich glaube, wir müssen uns immer wieder mit
diesen Dingen auseinandersetzen und sie studieren, bei aller Abneigung, die wir
vielleicht dagegen haben.“9
Die Studie hat ebenso zu zeigen versucht, dass der Literaturbetrieb nicht
immer nach „einfach durchschaubaren Mechanismen funktioniert“,10 wobei
einerseits persönliche Beziehungen, andererseits aber auch die Position des
Akteurs Kraus innerhalb des literarischen Feldes eine Rolle spielen. Je enger etwa
seine Bindung an staatliche Institutionen wurde, wie z. B. mit seiner Tätigkeit
für das Österreichische Außenministerium, umso deutlicher zeigen sich seine
Bemühungen um kulturelle Repräsentation, die gleichzeitig „Image“-Pflege war.
Dass er hierbei bestimmte Autorinnen und Autoren propagierte und protegier-
te, andere wiederum ausschloss, spiegelt seine dezidierte Bemühung wider, einen
Kanon der österreichischen Literatur zu etablieren. Da Kanonisierung jedoch
stets eine „vorgängige Tradition“ verengt und durch den gesetzten „Trennungs-
strich“ eine „Dialektik zwischen dem was hineinkommt und dem was draußen
bleibt“,11 erzeugt, führten diese Kanonisierungsbestrebungen Kraus in eine
Sackgasse, die mit seiner „Immunisierung gegen den Wandel“12 einherging.
Die von Kraus wenig geschätzten experimentellen Strömungen konnten sich
schlussendlich im literarischen Feld durchsetzen und die „bis dahin dominie-
renden Produktionen“13 deklassieren.
7 Roland Innerhofer: GAV contra PEN. Die Institutionalisierung einer Spaltung. In: Wendelin
Schmidt-Dengler, Johann Sonnleitner, Klaus Zeyringer (Hg.): Konflikte – Skandale – Dichter-
fehden in der österreichischen Literatur. Berlin: Schmidt 1995 (= Philologische Studien und
Quellen 137), S. 225–235, hier S. 227.
8 Wolfgang Kraus: Fortbildungsseminar für die jungen Beamten des Auslandskulturdienstes. ms.
Ts., ÖGL-Archiv.
9 Ebd.
10 Sigrid Schmid-Bortenschlager: Schriftstellerinnen in der österreichischen Nachkriegsliteratur.
In: Heide Kunzelmann, Martin Liebscher, Thomas Eicher (Hg.): Kontinuitäten und Brüche.
Österreichs literarischer Wiederaufbau nach 1945. Oberhausen: Athena 2006 (= Übergänge –
Grenzfälle 12), S. 63–76, hier S. 73.
11 Aleida Assmann, Jan Assmann: Kanon und Zensur als kultursoziologische Kategorien. In: Dies.
(Hg.): Kanon und Zensur. Beiträge zur Archäologie der literarischen Kommunikation. Bd. 2.
München: Wilhelm Fink 1987, S. 7–28, hier S. 11.
12 Ebd., S. 12.
13 Pierre Bourdieu: Die Regeln der Kunst. Genese und Struktur des literarischen Feldes. Aus dem
Frz. übers. v. Bernd Schwibs u. Achim Russer. Frankfurt/M.: Suhrkamp 2001 (= stw 1539),
S. 371.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
401Resümee
Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Titel
- Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Autor
- Stefan Maurer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23312-1
- Abmessungen
- 15.8 x 24.0 cm
- Seiten
- 452
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- 1. EINLEITUNG: WOLFGANG KRAUS, EIN „KANTENLOSER HOMME DE LETTRES“? 9
- 2. DER ÖSTERREICHISCHE LITERATURBETRIEB NACH 1945 43
- 3. DIE ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR LITERATUR (1961–1975) 81
- 3.1 Gründung und Anfänge der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 83
- 3.2 Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 98
- 3.3 Die ÖGL und das Konzept einer österreichischen Literatur 124
- 3.4 Die ÖGL und „Wort in der Zeit“ 142
- 3.5 Eine „Heimatadresse“? Die ÖGL und die Exilliteratur 155
- 3.6 Forum der Jugend 180
- 3.7 Bemühungen um die Literatur der östlichen Nachbarn 183
- 3.8 Resümee 190
- 4. „DAS MANAGEMENT REISST NICHT AB“. WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE LITERATUR 193
- 5. KONTAKTPERSON, VERMITTLER, DOLMETSCHER: WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE KULTURPOLITIK 297
- 6. WOLFGANG KRAUS’ NETZWERKE IM KULTURELLEN KALTEN KRIEG 355
- 7. RESÜMEE 399
- 8. LITERATURVERZEICHNIS 403
- 9. PERSONENREGISTER 437