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Einleitung
Fragestellung und Ausgangsthesen
Am Anfang des Forschungsvorhabens, das diesem Buch zugrunde liegt, stand eine
Ausstellung. Im Jahr 2008/2009 kuratierte ich für „Linz 2009 – Kulturhauptstadt
Europas“ die Ausstellung „Kulturhauptstadt des Führers. Kunst und Nationalsozi-
alismus in Linz und Oberösterreich“.1 Neben vielen anderen inhaltlichen Aspekten
ging es im Konzept dieser Ausstellung darum, Biographien von KünstlerInnen mit
einem Fokus auf die Jahre von 1938 bis 1945 zu untersuchen. In den meisten bio-
graphischen Darstellungen von KünstlerInnen, sei es in Selbstdarstellungen oder
Veröffentlichungen über die jeweiligen Personen, fehlten diese Jahre schlichtweg.
Bei den männlichen Vertretern gab es allenfalls einen Verweis auf den geleisteten
Kriegsdienst. Zu künstlerischer Tätigkeit oder persönlicher Involvierung in politi-
sche Geschehnisse der Zeit fanden sich aber nur wenige Spuren. Betrachtete man
dann weiter Dokumente aus den unmittelbaren Nachkriegsjahren, fand sich nicht
selten der entweder selbst oder von FreundInnen, Angehörigen und KollegInnen
vorgebrachte Entlastungsversuch, die Person sei Künstler und somit nur den Küns-
ten verpflichtet gewesen und über jegliche politische Positionierung gewisser maßen
a priori erhaben. Selbst wenn die betreffenden Personen Parteimitglieder waren
oder Leitungsfunktionen im NS-Kulturapparat innehatten, seien diese Positionen
nicht aus ideologischer Überzeugung, sondern immer nur zum Schutz der Kunst
eingenommen worden.
Dieses Bild des Künstlers, der so erhaben und unberührt über dem politischen
Geschehen zu stehen scheint – woher stammte es, konnte es eine Berechtigung ha-
ben und war es jemals Realität? Steht es nicht diametral zu einem gegenwärtigen
Verständnis von Kunst, von der politische Einmischung und Positionierung unbe-
dingt verlangt wird? Wann vollzog sich dieser Wandel und woraus speiste sich das
oben beschriebene Bild? Eine mit der „Hochschätzung des Geistigen“ verbundene
gleichzeitige „Abwertung des Politischen und Ökonomischen“, so formuliert Georg
Bollenbeck die in der Aufklärung wurzelnden Ideale deutschen Bildungsbürger-
tums, prägte zweifellos auch noch die kollektive Identität der kulturellen Moderne
1 Vgl. Birgit Kirchmayr (Hg.), „Kulturhauptstadt des Führers“. Kunst und Nationalsozialismus in
Linz und Oberösterreich, Linz, Weitra 2008.
Open-Access-Publikation im Sinne der Lizenz CC BY 4.0
Zeitwesen
Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
- Titel
- Zeitwesen
- Untertitel
- Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
- Autor
- Birgit Kirchmayr
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23310-7
- Abmessungen
- 17.3 x 24.5 cm
- Seiten
- 468
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung 11
- Fragestellung und Ausgangsthesen 11
- Theoretische Bezugsrahmen 14
- Quellen 17
- „Zeitwesen“ oder: die ProtagonistInnen 20
- 1 Auto/Biographieforschung – KünstlerInnenforschung 33
- 2 KünstlerInnen über sich 79
- 2.1 Alfred Kubin – ein autobiographical life 80
- 2.2 Oskar Kokoschka – der biographische „Jongleur“ 105
- 2.3 Aloys Wach – Selbstbespiegelungen eines Suchenden 136
- 2.4 Erika Giovanna Klien – Autobiographische Fragmente 150
- 2.5 Margret Bilger – Autobiographisches wider Willen 164
- 2.6 Erstes Resümee oder: Wie KünstlerInnen über sich schreiben und dabei „biographische Formeln“ verwenden 175
- 3 KünstlerInnen und gesellschaftliche Diskurse 179
- 3.1 Der Geschlechterdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts 180
- 3.1.1 Alfred Kubin und die Misogynie der Moderne 185
- 3.1.2 „Mörder, Hoffnung der Frauen“: Oskar Kokoschka und die (modernen) Amazonen 206
- 3.1.3 Erika Giovanna Klien – schwierige Emanzipationswege einer „neuen“ Frau 214
- 3.1.4 Zerrissenheit und Identitätssuche – Geschlechterbilder bei Margret Bilger 220
- 3.2 Geschwindigkeit – Fortschrittseuphorie versus Kulturpessimismus 232
- 3.2.1 Alfred Kubins Traumstadt „Perle“ als Versuchsstation der Fortschrittsverweigerung 236
- 3.2.2 „Im Riesengefängnis New York“: Erika Giovanna Klien und ihr Verhältnis zu Stadt, Geschwindigkeit und Technik 245
- 3.2.3 Der Rückzug aufs Land: Alfred Kubin und Margret Bilger 256
- 3.2.4 „Haste nicht und raste nie. Sonst hastet die Neurasthenie“: ein Exkurs zum Nervendiskurs 264
- 3.3 Esoterik – Spirituelle Sinnsuche im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert 271
- 3.4. Zweites Resümee oder: Welche Diskurse der Moderne die KünstlerInnen bewegten 308
- 3.1 Der Geschlechterdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts 180
- 4 KünstlerInnen und Politik – Von der Monarchie bis zum Nationalsozialismus 313
- 4.1 Die Legende vom unpolitischen Künstler – Zum Verständnis von Kunst und Politik bis 1945 315
- 4.2 Erster Weltkrieg und das Ende der k. u. k. Monarchie 319
- 4.3 Zwischen den Kriegen: Revolution(en), Republik(en), „Ständestaat“ 349
- 4.3.1 Der „Kunstlump“ – Oskar Kokoschka und die (deutsche) Revolution 353
- 4.3.2 Aloys Wach und die Münchner Räterepublik 360
- 4.3.3 Aus der Distanz: Erika Giovanna Klien und die österreichische Zwischenkriegszeit 368
- 4.3.4 „Weil ich nicht in der Vaterlandspartei bin“: Positionen zum „Ständestaat“ bei Oskar Kokoschka und Alfred Kubin 373
- 4.4 Nationalsozialismus 382
- 4.4.1 „… diese stummen Geister der Auflehnung“: Alfred Kubin und der Nationalsozialismus 385
- 4.4.2 Oskar Kokoschka: Selbstbildnis eines „entarteten“ Künstlers 397
- 4.4.3 „22° Waage“: Aloys Wach und der Nationalsozialismus 404
- 4.4.4 „… hätte ich aber die conträren Gesinnungen“: Margret Bilger und der Nationalsozialismus 409
- 4.5 Drittes Resümee oder: Wie politisch waren die „unpolitischen“ KünstlerInnen? 422
- Dank 426
- Abkürzungsverzeichnis 428
- Tabellen- und Abbildungsverzeichnis 429
- Quellen- und Literaturverzeichnis 431
- Archive und Sammlungen 431
- Zeitungen/Zeitschriften/Jahrbücher 432
- Literatur und gedruckte Quellen 432
- Personenregister 463