Web-Books
im Austria-Forum
Austria-Forum
Web-Books
Kunst und Kultur
Zeitwesen - Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
Seite - 264 -
  • Benutzer
  • Version
    • Vollversion
    • Textversion
  • Sprache
    • Deutsch
    • English - Englisch

Seite - 264 - in Zeitwesen - Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945

Bild der Seite - 264 -

Bild der Seite - 264 - in Zeitwesen - Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945

Text der Seite - 264 -

| 3 KünstlerInnen und gesellschaftliche Diskurse264 3.2.4 „Haste nicht und raste nie. Sonst hastet die Neurasthenie“: ein Exkurs zum Nervendiskurs „Haste nicht und raste nie. Sonst hastet die Neurasthenie. Darüber wär ich beinah einmal tobsüchtig geworden.”261 In der obigen Aussage bezog sich Alfred Kubin – in nicht ganz korrekter Wiedergabe – auf einen zeitgenössisch populären Aphorismus, der auf den deutschen Schriftstel- ler Otto Erich Hartleben zurückgeht und original wie folgt lautet: „Raste nie, doch haste nie, sonst haste die Neurasthenie“.262 Ausgedrückt ist in diesem Aphorismus eine zeitgenössische Grundannahme, die so plausibel schien, dass sie kaum hinter- fragt wurde: der Zusammenhang von Geschwindigkeit und Nervenbelastung. Die ZeitgenossInnen des späten 19. und frühen 20.  Jahrhunderts schienen sich einig im Befund, in einem „nervösen Zeitalter“ zu leben. Der Nervendiskurs war nicht nur auf medizinisch-wissenschaftlicher Ebene bestimmend, sondern auch in Ge- sellschaft und Alltag allgegenwärtig. Ende des 19.  Jahrhunderts und um die Jahr- hundertwende waren sowohl in Amerika wie auch Europa immer mehr Menschen von unspezifischen Symptomen betroffen, die als „Neurasthenie“ diagnostiziert wurden – ein Phänomen, das zeitgenössisch und mittlerweile auch in zahlreichen kulturgeschichtlichen Abhandlungen diskutiert wurde.263 Die Frage kreist(e) dabei auch immer um die Wirkmächtigkeit des Diskurses beziehungsweise anders formu- 261 AK an Fritz Herzmanovsky-Orlando, Zwickledt 12.8.1907, zit. nach Herzmanovsky-Orlando, Briefwechsel, 8. 1905 verwendete Kubin den Aphorismus auch bereits in einem Brief an seine Frau. AK an Hedwig Kubin, Wien 3.3.1905, zit. in Hamminger, Mein armer Liebling, 28. 262 Zit. nach Joachim Radkau, Das Zeitalter der Nervosität. Deutschland zwischen Bismarck und Hit- ler, München, Wien 1998, 54 u. 479. Während Radkau 1998 feststellen musste, dass sich Hartlebens Aphorismus nur mehr in älteren (bis 1959) „Geflügelte Worte“-Sammlungen findet, lässt sich im Zuge aktueller Burn-out-Diskussionen konstatieren, dass Hartlebens Aphorismus wieder an Be- kanntheit zugenommen hat und in zahlreichen Internet-Aphorismen-Sammlungen genauso wie in Beiträgen zur gegenwärtigen Erschöpfungsdiskussion zu finden ist. 263 Hans Georg Hofer weist darauf hin, dass erst ein zunehmendes kulturwissenschaftliches Interesse in den Geschichtswissenschaften zu einer stärkeren Beschäftigung mit der Geschichte von Ner- vosität und Neurasthenie geführt hat. Nach mehreren Studien im anglo-amerikanischen Raum erscheinen seit den 1990er-Jahren auch Forschungsarbeiten im deutschsprachigen Raum, die sich vorwiegend mit dem Wilhelminischen Deutschland beschäftigen. Arbeiten, die explizit Österreich in den Blick nehmen, sind – trotz Freud! – nach wie vor rar. Vgl. zum Forschungsstand auch Hans- Georg Hofer, Nervenschwäche und Krieg. Modernitätskritik und Krisenbewältigung in der öster- reichischen Psychiatrie (1880–1920), Wien 2004, 23  ff. Als jüngste Publikation aus dem deutsch- sprachigen Raum ist noch zu nennen: Wolfgang Martynkewicz, Das Zeitalter der Erschöpfung. Die Überforderung des Menschen durch die Moderne, Berlin 2013. Open-Access-Publikation im Sinne der Lizenz CC BY 4.0
zurück zum  Buch Zeitwesen - Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945"
Zeitwesen Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
Titel
Zeitwesen
Untertitel
Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
Autor
Birgit Kirchmayr
Verlag
Böhlau Verlag
Ort
Wien
Datum
2020
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY 4.0
ISBN
978-3-205-23310-7
Abmessungen
17.3 x 24.5 cm
Seiten
468
Kategorie
Kunst und Kultur

Inhaltsverzeichnis

  1. Einleitung 11
  2. Fragestellung und Ausgangsthesen 11
  3. Theoretische Bezugsrahmen 14
  4. Quellen 17
  5. „Zeitwesen“ oder: die ProtagonistInnen 20
  6. 1 Auto/Biographieforschung – KünstlerInnenforschung 33
    1. 1.1 Auto/Biographieforschung 33
      1. 1.1.1 Lebenslauf, Biographie, Autobiographie oder Auto/Biographie? 34
      2. 1.1.2 Auto/Biographie und Geschichtswissenschaft 39
      3. 1.1.3 Auto/Biographie und Geschlecht 47
    2. 1.2 Künstlerauto/biographie 51
      1. 1.2.1 Von Vasaris Viten bis „Inventing Leonardo“: Zur Geschichte der Künstlerbiographik 51
      2. 1.2.2 „Biographische Formeln“: Die „Legende vom Künstler“ 54
      3. 1.2.3 Geniekonzept und Autobiographical Life 59
    3. 1.3 Auto/Biographische Quellen 63
      1. 1.3.1 Autobiographie 65
      2. 1.3.2 Brief 66
      3. 1.3.3 Tagebuch 72
  7. 2 KünstlerInnen über sich 79
    1. 2.1 Alfred Kubin – ein autobiographical life 80
      1. 2.1.1 Der Künstler, sein Archivar und sein Nachlass 80
      2. 2.1.2 Die Autobiographie „Aus meinem Leben“ (1911–1952) 83
    2. 2.2 Oskar Kokoschka – der biographische „Jongleur“ 105
      1. 2.2.1 Der Künstler als Erzähler 105
      2. 2.2.2 Die Autobiographie „Mein Leben“ (1971) 109
    3. 2.3 Aloys Wach – Selbstbespiegelungen eines Suchenden 136
      1. 2.3.1 Autobiographisches in Tagebüchern und Briefen 136
      2. 2.3.2 „Biographische Notizen“ (1929) 138
    4. 2.4 Erika Giovanna Klien – Autobiographische Fragmente 150
      1. 2.4.1 Erklärungen zu einem Negativbefund 150
      2. 2.4.2 Die „Klessheimer Sendboten“ (1927) 154
    5. 2.5 Margret Bilger – Autobiographisches wider Willen 164
      1. 2.5.1 Versuch einer Verweigerung 164
      2. 2.5.2 Der „Lebensbericht“ (1968) 166
    6. 2.6 Erstes Resümee oder: Wie KünstlerInnen über sich schreiben und dabei „biographische Formeln“ verwenden 175
  8. 3 KünstlerInnen und gesellschaftliche Diskurse 179
    1. 3.1 Der Geschlechterdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts 180
      1. 3.1.1 Alfred Kubin und die Misogynie der Moderne 185
      2. 3.1.2 „Mörder, Hoffnung der Frauen“: Oskar Kokoschka und die (modernen) Amazonen 206
      3. 3.1.3 Erika Giovanna Klien – schwierige Emanzipationswege einer „neuen“ Frau 214
      4. 3.1.4 Zerrissenheit und Identitätssuche – Geschlechterbilder bei Margret Bilger 220
    2. 3.2 Geschwindigkeit – Fortschrittseuphorie versus Kulturpessimismus 232
      1. 3.2.1 Alfred Kubins Traumstadt „Perle“ als Versuchsstation der Fortschrittsverweigerung 236
      2. 3.2.2 „Im Riesengefängnis New York“: Erika Giovanna Klien und ihr Verhältnis zu Stadt, Geschwindigkeit und Technik 245
      3. 3.2.3 Der Rückzug aufs Land: Alfred Kubin und Margret Bilger 256
      4. 3.2.4 „Haste nicht und raste nie. Sonst hastet die Neurasthenie“: ein Exkurs zum Nervendiskurs 264
    3. 3.3 Esoterik – Spirituelle Sinnsuche im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert 271
      1. 3.3.1 Alfred Kubin: Von der Ariosophie zum Buddhismus 277
      2. 3.3.2 Aloys Wach, die Kabbala und Jesus Christus als „Okkultist“ . . . . . . . 284 Exkurs: Die „Affäre Schappeller“ 291
    4. 3.4. Zweites Resümee oder: Welche Diskurse der Moderne die KünstlerInnen bewegten 308
  9. 4 KünstlerInnen und Politik – Von der Monarchie bis zum Nationalsozialismus 313
    1. 4.1 Die Legende vom unpolitischen Künstler – Zum Verständnis von Kunst und Politik bis 1945 315
    2. 4.2 Erster Weltkrieg und das Ende der k. u. k. Monarchie 319
      1. 4.2.1 Kubin, der Krieg und das Ende der „alten Ruhe“ 321
      2. 4.2.2 „Ich bin so froh, dass ich noch lebe“: Oskar Kokoschka und der Erste Weltkrieg 328
    3. 4.3 Zwischen den Kriegen: Revolution(en), Republik(en), „Ständestaat“ 349
      1. 4.3.1 Der „Kunstlump“ – Oskar Kokoschka und die (deutsche) Revolution 353
      2. 4.3.2 Aloys Wach und die Münchner Räterepublik 360
      3. 4.3.3 Aus der Distanz: Erika Giovanna Klien und die österreichische Zwischenkriegszeit 368
      4. 4.3.4 „Weil ich nicht in der Vaterlandspartei bin“: Positionen zum „Ständestaat“ bei Oskar Kokoschka und Alfred Kubin 373
    4. 4.4 Nationalsozialismus 382
      1. 4.4.1 „… diese stummen Geister der Auflehnung“: Alfred Kubin und der Nationalsozialismus 385
      2. 4.4.2 Oskar Kokoschka: Selbstbildnis eines „entarteten“ Künstlers 397
      3. 4.4.3 „22° Waage“: Aloys Wach und der Nationalsozialismus 404
      4. 4.4.4 „… hätte ich aber die conträren Gesinnungen“: Margret Bilger und der Nationalsozialismus 409
    5. 4.5 Drittes Resümee oder: Wie politisch waren die „unpolitischen“ KünstlerInnen? 422
  10. Dank 426
  11. Abkürzungsverzeichnis 428
  12. Tabellen- und Abbildungsverzeichnis 429
  13. Quellen- und Literaturverzeichnis 431
  14. Archive und Sammlungen 431
  15. Zeitungen/Zeitschriften/Jahrbücher 432
  16. Literatur und gedruckte Quellen 432
  17. Personenregister 463
Web-Books
Bibliothek
Datenschutz
Impressum
Austria-Forum
Austria-Forum
Web-Books
Zeitwesen