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2.4 Erika Giovanna Klien – Autobiographische Fragmente
2.4.1 Erklärungen zu einem Negativbefund
„Well – what I think about myself, is definitely not subconscious –
I know damnwell what’s what.“ 227
Erika Giovanna Klien verfasste keine Autobiographie und hinterließ auch keine an-
dersgeartete selbstverfasste Lebensdarstellung, zumindest ist nach derzeitigem For-
schungsstand keine solche bekannt oder überliefert. Alles, was in der kunsthistori-
schen Forschung bislang über die Künstlerin biographisch in Erfahrung gebracht
werden konnte, erschließt sich vorwiegend aus überlieferten Briefen. Geschlechts-
spezifisch betrachtet ist der Befund nicht überraschend, dass Quellen, die oft unbe-
absichtigt ihren Weg in die Öffentlichkeit fanden, mangels bewusst veröffentlichter
oder hinterlassener biographischer Texte an deren Stelle treten.228 Begründungen
für das mangelnde Vorhandensein autobiographischer Darstellungen für Kliens Le-
ben können auf zwei Ebenen gesucht werden: Erstens in der Lebensführung der
Künstlerin selbst und zweitens in der posthumen Überlieferungsgeschichte – und
beide Ebenen weisen geschlechtsspezifische Charakteristika auf.
Erika Giovanna Klien führte dezidiert kein autobiographical life im Sinne von
Carl Pletschs Definition, also ein „life lived in anticipation of one’s biographers“.229
Vielmehr darf sie wohl – mit aller Vorsicht – als das Gegenbild der bewussten
Nachlassgestalterin bezeichnet werden. Während andere KünstlerInnen akribisch
jede Ausstellungskritik, Publikation oder Korrespondenz aufbewahren oder archi-
vieren ließen/lassen, schien sich Klien darum wenig gekümmert zu haben. Diese
mangelnde Aufmerksamkeit gegenüber der eigenen Imagepflege steht unbedingt in
Zusammenhang mit Kliens lebenslangem Existenzkampf und den damit in Verbin-
dung stehenden zeitlichen und finanziellen Einschränkungen. Im März 1930, nach-
dem sie nach der Übersiedlung nach New York ihre erste erfolgreiche Ausstellung
227 Sammlung Mautner Markhof Wien, Prov. NL Klien, Erika Giovanna Klien, „Manuskript einer An-
klage gegen Ungenannte“, o. D. (1940/50er-Jahre).
228 Vgl. Michaela Holdenried (Hg.), Geschriebenes Leben. Autobiographik von Frauen, Berlin 1995;
Petra-Maria Dallinger, „bin ganz dein dunkles Schwesterlein u. geh u. geh u. geh allein“. Briefe von
Margret Bilger und Elisabeth Karlinsky, in: Petra-Maria Dallinger (Hg.), „Jetzt wo du wieder weg
fährst, weiß ich erst wie ich ganz allein bin“. Briefwechsel zwischen Margret Bilger und Elisabeth
Karlinsky, Linz 2006, 10–20, 10 f.
229 Pletsch, Autobiographical Life, 415.
Open-Access-Publikation im Sinne der Lizenz CC BY 4.0
Zeitwesen
Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
- Titel
- Zeitwesen
- Untertitel
- Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
- Autor
- Birgit Kirchmayr
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23310-7
- Abmessungen
- 17.3 x 24.5 cm
- Seiten
- 468
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung 11
- Fragestellung und Ausgangsthesen 11
- Theoretische Bezugsrahmen 14
- Quellen 17
- „Zeitwesen“ oder: die ProtagonistInnen 20
- 1 Auto/Biographieforschung – KünstlerInnenforschung 33
- 2 KünstlerInnen über sich 79
- 2.1 Alfred Kubin – ein autobiographical life 80
- 2.2 Oskar Kokoschka – der biographische „Jongleur“ 105
- 2.3 Aloys Wach – Selbstbespiegelungen eines Suchenden 136
- 2.4 Erika Giovanna Klien – Autobiographische Fragmente 150
- 2.5 Margret Bilger – Autobiographisches wider Willen 164
- 2.6 Erstes Resümee oder: Wie KünstlerInnen über sich schreiben und dabei „biographische Formeln“ verwenden 175
- 3 KünstlerInnen und gesellschaftliche Diskurse 179
- 3.1 Der Geschlechterdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts 180
- 3.1.1 Alfred Kubin und die Misogynie der Moderne 185
- 3.1.2 „Mörder, Hoffnung der Frauen“: Oskar Kokoschka und die (modernen) Amazonen 206
- 3.1.3 Erika Giovanna Klien – schwierige Emanzipationswege einer „neuen“ Frau 214
- 3.1.4 Zerrissenheit und Identitätssuche – Geschlechterbilder bei Margret Bilger 220
- 3.2 Geschwindigkeit – Fortschrittseuphorie versus Kulturpessimismus 232
- 3.2.1 Alfred Kubins Traumstadt „Perle“ als Versuchsstation der Fortschrittsverweigerung 236
- 3.2.2 „Im Riesengefängnis New York“: Erika Giovanna Klien und ihr Verhältnis zu Stadt, Geschwindigkeit und Technik 245
- 3.2.3 Der Rückzug aufs Land: Alfred Kubin und Margret Bilger 256
- 3.2.4 „Haste nicht und raste nie. Sonst hastet die Neurasthenie“: ein Exkurs zum Nervendiskurs 264
- 3.3 Esoterik – Spirituelle Sinnsuche im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert 271
- 3.4. Zweites Resümee oder: Welche Diskurse der Moderne die KünstlerInnen bewegten 308
- 3.1 Der Geschlechterdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts 180
- 4 KünstlerInnen und Politik – Von der Monarchie bis zum Nationalsozialismus 313
- 4.1 Die Legende vom unpolitischen Künstler – Zum Verständnis von Kunst und Politik bis 1945 315
- 4.2 Erster Weltkrieg und das Ende der k. u. k. Monarchie 319
- 4.3 Zwischen den Kriegen: Revolution(en), Republik(en), „Ständestaat“ 349
- 4.3.1 Der „Kunstlump“ – Oskar Kokoschka und die (deutsche) Revolution 353
- 4.3.2 Aloys Wach und die Münchner Räterepublik 360
- 4.3.3 Aus der Distanz: Erika Giovanna Klien und die österreichische Zwischenkriegszeit 368
- 4.3.4 „Weil ich nicht in der Vaterlandspartei bin“: Positionen zum „Ständestaat“ bei Oskar Kokoschka und Alfred Kubin 373
- 4.4 Nationalsozialismus 382
- 4.4.1 „… diese stummen Geister der Auflehnung“: Alfred Kubin und der Nationalsozialismus 385
- 4.4.2 Oskar Kokoschka: Selbstbildnis eines „entarteten“ Künstlers 397
- 4.4.3 „22° Waage“: Aloys Wach und der Nationalsozialismus 404
- 4.4.4 „… hätte ich aber die conträren Gesinnungen“: Margret Bilger und der Nationalsozialismus 409
- 4.5 Drittes Resümee oder: Wie politisch waren die „unpolitischen“ KünstlerInnen? 422
- Dank 426
- Abkürzungsverzeichnis 428
- Tabellen- und Abbildungsverzeichnis 429
- Quellen- und Literaturverzeichnis 431
- Archive und Sammlungen 431
- Zeitungen/Zeitschriften/Jahrbücher 432
- Literatur und gedruckte Quellen 432
- Personenregister 463