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| 4 KünstlerInnen und Politik – Von der Monarchie bis zum
Nationalsozialismus404
Das Bedürfnis, der Welt sein politisches Verständnis mitzuteilen, zeigte sich in sei-
ner Londoner Lebensperiode nicht nur im Werk, sondern wiederum auch in öf-
fentlichkeitswirksamen Aktionen, die von Plakataktionen bis zu Veröffentlichungen
in Zeitungen reichten.283 Dieses Sendungsbedürfnis erstreckte sich auch auf seine
auto/biographische Präsentation: So war es Kokoschka ein Anliegen, der von Edith
Hoffmann verfassten Künstlermonographie einen von ihm verfassten politischen
Aufsatz beizusteuern. Trotz Widerstand des Verlegers, der Kokoschkas zahlreiche
Initiativen, eigene Texte zum Buch beizusteuern, mehrfach ablehnte, setzte Ko-
koschka sein Ansinnen durch, was die Herausgabe des Buches stark verzögerte.284
1947 erschien es schließlich, im Appendix Kokoschkas Erläuterungen unter dem
Titel: „A petition from a foreign artist to the righteous people of Great Britain for a
secure and present Peace“.285 Das letzte Wortgehörte somit dem „politischen“ Künst-
ler Oskar Kokoschka.
4.4.3 „22° Waage“: Aloys Wach und der Nationalsozialismus
„Österreich: 22° Waage. Adolf Hitler: 21° Waage. Wach: 19°47’ Waage.
(nach anderem Horoskop 22°)“ 286
Am 19.
April 1933 verwehrte sich der in Braunau beheimatete Künstler Aloys Wach,
ehemals als linker Revolutionär aus München vertrieben, in einem Schreiben an die
283 Vgl. die Plakataktion 1937 „Helft den baskischen Kindern“, von Oskar Kokoschka in seiner Auto-
biographie als Reaktion auf die Ausstellung „Entartete Kunst“ dargestellt. Das Plakat war aber viel-
mehr eine Reaktion auf die Bombardierung Guernicas im Spanischen Bürgerkrieg im April 1937.
Sollte die Plakataktion bereits zu diesem Zeitpunkt stattgefunden haben, wie bei Heinz Spielmann
dargestellt, kann ein unmittelbarer kausaler Zusammenhang mit der Ausstellung „Entartete Kunst“
aus zeitlichen Gründen ausgeschlossen werden. Zur Chronologie vgl. Heinz Spielmann, Oskar Ko-
koschka. Leben und Werk, Köln 2003, 519. Auch andere politische Öffentlichkeitsmaßnahmen
Kokoschkas waren auf Kinder bezogen, wie beispielsweise das Weihnachten 1945 in der Londoner
U-Bahn angebrachte Plakat „In Memory of the Children of Europe who have to die of Cold and
Hunger this Christmas“. Vgl. Werkner, In London, 206 ff.
284 Vgl. Bonnefoit, Kunsthistoriker vom Künstler zensiert, 175 f.
285 Oskar Kokoschka, A petition from a foreign artist to the righteous people of Great Britain for a
secure and present Peace. Humbly tendered and signed by Oskar Kokoschka, London December
1945, in: Hoffmann, Kokoschka, 245–284. In deutscher Übersetzung und „in größerem Umfang
korrigiert“, so der Herausgeber, in: Heinz Spielmann (Hg.), Oskar Kokoschka. Das schriftliche
Werk. Bd. 4: Politische Äußerungen, Hamburg 1976, 289–332.
286 Aloys Wach, Tagebuchblätter seit 1933, Eintrag 18.2.1934.
Open-Access-Publikation im Sinne der Lizenz CC BY 4.0
Zeitwesen
Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
- Titel
- Zeitwesen
- Untertitel
- Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
- Autor
- Birgit Kirchmayr
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23310-7
- Abmessungen
- 17.3 x 24.5 cm
- Seiten
- 468
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung 11
- Fragestellung und Ausgangsthesen 11
- Theoretische Bezugsrahmen 14
- Quellen 17
- „Zeitwesen“ oder: die ProtagonistInnen 20
- 1 Auto/Biographieforschung – KünstlerInnenforschung 33
- 2 KünstlerInnen über sich 79
- 2.1 Alfred Kubin – ein autobiographical life 80
- 2.2 Oskar Kokoschka – der biographische „Jongleur“ 105
- 2.3 Aloys Wach – Selbstbespiegelungen eines Suchenden 136
- 2.4 Erika Giovanna Klien – Autobiographische Fragmente 150
- 2.5 Margret Bilger – Autobiographisches wider Willen 164
- 2.6 Erstes Resümee oder: Wie KünstlerInnen über sich schreiben und dabei „biographische Formeln“ verwenden 175
- 3 KünstlerInnen und gesellschaftliche Diskurse 179
- 3.1 Der Geschlechterdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts 180
- 3.1.1 Alfred Kubin und die Misogynie der Moderne 185
- 3.1.2 „Mörder, Hoffnung der Frauen“: Oskar Kokoschka und die (modernen) Amazonen 206
- 3.1.3 Erika Giovanna Klien – schwierige Emanzipationswege einer „neuen“ Frau 214
- 3.1.4 Zerrissenheit und Identitätssuche – Geschlechterbilder bei Margret Bilger 220
- 3.2 Geschwindigkeit – Fortschrittseuphorie versus Kulturpessimismus 232
- 3.2.1 Alfred Kubins Traumstadt „Perle“ als Versuchsstation der Fortschrittsverweigerung 236
- 3.2.2 „Im Riesengefängnis New York“: Erika Giovanna Klien und ihr Verhältnis zu Stadt, Geschwindigkeit und Technik 245
- 3.2.3 Der Rückzug aufs Land: Alfred Kubin und Margret Bilger 256
- 3.2.4 „Haste nicht und raste nie. Sonst hastet die Neurasthenie“: ein Exkurs zum Nervendiskurs 264
- 3.3 Esoterik – Spirituelle Sinnsuche im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert 271
- 3.4. Zweites Resümee oder: Welche Diskurse der Moderne die KünstlerInnen bewegten 308
- 3.1 Der Geschlechterdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts 180
- 4 KünstlerInnen und Politik – Von der Monarchie bis zum Nationalsozialismus 313
- 4.1 Die Legende vom unpolitischen Künstler – Zum Verständnis von Kunst und Politik bis 1945 315
- 4.2 Erster Weltkrieg und das Ende der k. u. k. Monarchie 319
- 4.3 Zwischen den Kriegen: Revolution(en), Republik(en), „Ständestaat“ 349
- 4.3.1 Der „Kunstlump“ – Oskar Kokoschka und die (deutsche) Revolution 353
- 4.3.2 Aloys Wach und die Münchner Räterepublik 360
- 4.3.3 Aus der Distanz: Erika Giovanna Klien und die österreichische Zwischenkriegszeit 368
- 4.3.4 „Weil ich nicht in der Vaterlandspartei bin“: Positionen zum „Ständestaat“ bei Oskar Kokoschka und Alfred Kubin 373
- 4.4 Nationalsozialismus 382
- 4.4.1 „… diese stummen Geister der Auflehnung“: Alfred Kubin und der Nationalsozialismus 385
- 4.4.2 Oskar Kokoschka: Selbstbildnis eines „entarteten“ Künstlers 397
- 4.4.3 „22° Waage“: Aloys Wach und der Nationalsozialismus 404
- 4.4.4 „… hätte ich aber die conträren Gesinnungen“: Margret Bilger und der Nationalsozialismus 409
- 4.5 Drittes Resümee oder: Wie politisch waren die „unpolitischen“ KünstlerInnen? 422
- Dank 426
- Abkürzungsverzeichnis 428
- Tabellen- und Abbildungsverzeichnis 429
- Quellen- und Literaturverzeichnis 431
- Archive und Sammlungen 431
- Zeitungen/Zeitschriften/Jahrbücher 432
- Literatur und gedruckte Quellen 432
- Personenregister 463