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1.1 Auto/Biographieforschung | 39
lung der Rolle der Auto/Biographik in den Geschichtswissenschaften einer näheren
Betrachtung unterzogen werden.
1.1.2 Auto/Biographie und Geschichtswissenschaft
„Denn dies scheint die Hauptaufgabe der Biographie zu sein,
den Menschen in seinen Zeitverhältnissen darzustellen […]“ 20
Die Autobiographie von Johann Wolfgang Goethe, der obiges Zitat entnommen
ist, markiert bis heute oftmals den Ausgangspunkt von Abhandlungen über auto/
biographische Literatur und erwies sich für eine Vielzahl von Auto/Biographien als
Referenzwerk. Aus geschichtswissenschaftlicher Perspektive betrachtet ist der Ver-
weis auf die Beziehung „Mensch“ und „Zeitverhältnisse“ zentral, stützte sich doch
die Geschichtsschreibung bis in das 20.
Jahrhundert hinein stark auf die Darstellung
von Biographien (großer Männer), um damit geschichtliche Vorgänge zu erklären.
In diesem Sinne bezeichnete auch der Kubin-Biograph Hermann Esswein in seiner
1911 verfassten biographischen Darstellung den Künstler Alfred Kubin „nicht so
sehr als Einzelpersönlichkeit denn als Zeiterscheinung“.21 Bis heute ist die Zeitzeu-
genschaft wesentliches Motiv auto/biographischer Publizistik.
Das von Goethe thematisierte Wechselverhältnis von Mensch (Subjekt) und Zeit-
verhältnissen (Gesellschaft) bildete auch in der methodisch-theoretischen Diskus-
sion, die sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entwickeln sollte, die be-
stimmende Frage. Für den Vordenker und Begründer von Geisteswissenschaft und
Hermeneutik, Wilhelm Dilthey, stand der Lebensverlauf im Zentrum allen histori-
schen Denkens:
lizierte Autobiographie handelt, aber auch, wenn das „auto-graphische“ der jeweiligen Quelle im
Mittelpunkt steht.
20 Johann Wolfgang von Goethe, Dichtung und Wahrheit, Stuttgart 2012, 9. Goethes Autobiographie
erschien unter dem Titel „Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit“ in drei Bänden, Tübingen
1811–1814. In zahlreichen späteren Editionen wurde als Titel nur mehr „Dichtung und Wahr-
heit“ angeführt. Die Erstausgaben der drei Bände finden sich auch als Online-Editionen, besonders
empfehlenswert ist jene des Deutschen Textarchivs, abrufbar unter http://www.deutschestextar-
chiv.de/goethe_leben01_1811 (2.9.2019).
21 Hermann Esswein, Alfred Kubin. Der Künstler und sein Werk, München 1911, 1.
Open-Access-Publikation im Sinne der Lizenz CC BY 4.0
Zeitwesen
Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
- Titel
- Zeitwesen
- Untertitel
- Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
- Autor
- Birgit Kirchmayr
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23310-7
- Abmessungen
- 17.3 x 24.5 cm
- Seiten
- 468
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung 11
- Fragestellung und Ausgangsthesen 11
- Theoretische Bezugsrahmen 14
- Quellen 17
- „Zeitwesen“ oder: die ProtagonistInnen 20
- 1 Auto/Biographieforschung – KünstlerInnenforschung 33
- 2 KünstlerInnen über sich 79
- 2.1 Alfred Kubin – ein autobiographical life 80
- 2.2 Oskar Kokoschka – der biographische „Jongleur“ 105
- 2.3 Aloys Wach – Selbstbespiegelungen eines Suchenden 136
- 2.4 Erika Giovanna Klien – Autobiographische Fragmente 150
- 2.5 Margret Bilger – Autobiographisches wider Willen 164
- 2.6 Erstes Resümee oder: Wie KünstlerInnen über sich schreiben und dabei „biographische Formeln“ verwenden 175
- 3 KünstlerInnen und gesellschaftliche Diskurse 179
- 3.1 Der Geschlechterdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts 180
- 3.1.1 Alfred Kubin und die Misogynie der Moderne 185
- 3.1.2 „Mörder, Hoffnung der Frauen“: Oskar Kokoschka und die (modernen) Amazonen 206
- 3.1.3 Erika Giovanna Klien – schwierige Emanzipationswege einer „neuen“ Frau 214
- 3.1.4 Zerrissenheit und Identitätssuche – Geschlechterbilder bei Margret Bilger 220
- 3.2 Geschwindigkeit – Fortschrittseuphorie versus Kulturpessimismus 232
- 3.2.1 Alfred Kubins Traumstadt „Perle“ als Versuchsstation der Fortschrittsverweigerung 236
- 3.2.2 „Im Riesengefängnis New York“: Erika Giovanna Klien und ihr Verhältnis zu Stadt, Geschwindigkeit und Technik 245
- 3.2.3 Der Rückzug aufs Land: Alfred Kubin und Margret Bilger 256
- 3.2.4 „Haste nicht und raste nie. Sonst hastet die Neurasthenie“: ein Exkurs zum Nervendiskurs 264
- 3.3 Esoterik – Spirituelle Sinnsuche im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert 271
- 3.4. Zweites Resümee oder: Welche Diskurse der Moderne die KünstlerInnen bewegten 308
- 3.1 Der Geschlechterdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts 180
- 4 KünstlerInnen und Politik – Von der Monarchie bis zum Nationalsozialismus 313
- 4.1 Die Legende vom unpolitischen Künstler – Zum Verständnis von Kunst und Politik bis 1945 315
- 4.2 Erster Weltkrieg und das Ende der k. u. k. Monarchie 319
- 4.3 Zwischen den Kriegen: Revolution(en), Republik(en), „Ständestaat“ 349
- 4.3.1 Der „Kunstlump“ – Oskar Kokoschka und die (deutsche) Revolution 353
- 4.3.2 Aloys Wach und die Münchner Räterepublik 360
- 4.3.3 Aus der Distanz: Erika Giovanna Klien und die österreichische Zwischenkriegszeit 368
- 4.3.4 „Weil ich nicht in der Vaterlandspartei bin“: Positionen zum „Ständestaat“ bei Oskar Kokoschka und Alfred Kubin 373
- 4.4 Nationalsozialismus 382
- 4.4.1 „… diese stummen Geister der Auflehnung“: Alfred Kubin und der Nationalsozialismus 385
- 4.4.2 Oskar Kokoschka: Selbstbildnis eines „entarteten“ Künstlers 397
- 4.4.3 „22° Waage“: Aloys Wach und der Nationalsozialismus 404
- 4.4.4 „… hätte ich aber die conträren Gesinnungen“: Margret Bilger und der Nationalsozialismus 409
- 4.5 Drittes Resümee oder: Wie politisch waren die „unpolitischen“ KünstlerInnen? 422
- Dank 426
- Abkürzungsverzeichnis 428
- Tabellen- und Abbildungsverzeichnis 429
- Quellen- und Literaturverzeichnis 431
- Archive und Sammlungen 431
- Zeitungen/Zeitschriften/Jahrbücher 432
- Literatur und gedruckte Quellen 432
- Personenregister 463