Seite - 34 - in Zeitwesen - Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
Bild der Seite - 34 -
Text der Seite - 34 -
| 1 Auto/Biographieforschung –
KünstlerInnenforschung34
historische Konstellationen, zeitgenössische Reflexionsmuster, vorherrschende Nar-
rative und Diskurse. Was wir aus der Biographie oder Autobiographie oder noch
weiter gefasst aus autobiographischen Dokumenten generell erlesen können, wie wir
sie zu lesen haben, was quellenkritisch zu beachten oder ob diese gar als historische
Quellen als untauglich zu verwerfen sind, darum kreist in wechselnden Paradigmen
die (geschichts-)wissenschaftliche Diskussion seit vielen Jahrzehnten.
1.1.1 Lebenslauf, Biographie, Autobiographie oder Auto/Biographie?
„Wir alle arbeiten zeitlebens an unseren Biographien,
auch wenn wir keine Selbstbiographie schreiben. Wir versuchen sie zu leben.“ 4
Autós (αὐτός), griechisch für selbst, bíos (βίος), griechisch für Leben, gráphein
(γράφειν), griechisch für schreiben/zeichnen: Es erscheint einfach und doch ist die
Begrifflichkeit der „Auto-Bio-Graphik“ kompliziert. Die Grundkomponenten sind
vorgegeben, schwierig ist aber die Frage, wie es mit den jeweiligen Zusammenhän-
gen und Wechselwirkungen steht. Können wir zwischen dem Leben und der Biogra-
phie unterscheiden? Was heißt es, wenn der Autor Berthold Viertel meinte, dass wir
versuchen „unsere Biographien […] zu leben“, oder wenn – wie im Folgenden noch
ausführlicher dargestellt – der Historiker Carl Pletsch von einem autobiographical
life spricht? Eine klare Trennlinie zu ziehen zwischen dem Lebenslauf an sich und
seiner dargestellten Form ist nicht immer möglich und so sind es auch die Wechsel-
wirkungen, die in der Auto/Biographieforschung zunehmend Betrachtung finden.
Angesichts der Bedeutung der begrifflichen Benennung mag es verwundern, dass
ein Großteil der Literatur, die sich theoretisch mit Fragen zur Biographie ausein-
andersetzt, ohne eine Klärung der verwendeten Begriffe auskommt. In dem sonst
überaus fundierten und inhaltlich breitgestreuten „Handbuch Biographie“, von
Christian Klein im Jahr 2009 herausgegeben,5 finden sich innerhalb eines Bandes
divergierende und zumeist nicht klar benannte Auffassungen dessen, was unter dem
Begriff „Biographie“ verstanden wird. Während ein Großteil der dort vertretenen
AutorInnen den Terminus Biographie nur für die dargestellte Form eines mensch-
4 Berthold Viertel, Das gespaltene Ich, in: Siglinde Bolbecher/Konstantin Kaiser (Hg.), Berthold
Viertel. Kindheit eines Cherub. Autobiographische Fragmente, Wien 1991, 10–13. Den Hinweis auf
Berthold Viertels „autobiographisches Projekt“ verdanke ich Katharina Prager! Vgl. dazu auch Ka-
tharina Prager, Berthold Viertel. Eine Biographie der Wiener Moderne, Wien, Köln, Weimar 2018.
5 Christian Klein (Hg.), Handbuch Biographie. Methoden, Traditionen, Theorien, Stuttgart, Weimar
2009.
Open-Access-Publikation im Sinne der Lizenz CC BY 4.0
Zeitwesen
Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
- Titel
- Zeitwesen
- Untertitel
- Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
- Autor
- Birgit Kirchmayr
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23310-7
- Abmessungen
- 17.3 x 24.5 cm
- Seiten
- 468
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung 11
- Fragestellung und Ausgangsthesen 11
- Theoretische Bezugsrahmen 14
- Quellen 17
- „Zeitwesen“ oder: die ProtagonistInnen 20
- 1 Auto/Biographieforschung – KünstlerInnenforschung 33
- 2 KünstlerInnen über sich 79
- 2.1 Alfred Kubin – ein autobiographical life 80
- 2.2 Oskar Kokoschka – der biographische „Jongleur“ 105
- 2.3 Aloys Wach – Selbstbespiegelungen eines Suchenden 136
- 2.4 Erika Giovanna Klien – Autobiographische Fragmente 150
- 2.5 Margret Bilger – Autobiographisches wider Willen 164
- 2.6 Erstes Resümee oder: Wie KünstlerInnen über sich schreiben und dabei „biographische Formeln“ verwenden 175
- 3 KünstlerInnen und gesellschaftliche Diskurse 179
- 3.1 Der Geschlechterdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts 180
- 3.1.1 Alfred Kubin und die Misogynie der Moderne 185
- 3.1.2 „Mörder, Hoffnung der Frauen“: Oskar Kokoschka und die (modernen) Amazonen 206
- 3.1.3 Erika Giovanna Klien – schwierige Emanzipationswege einer „neuen“ Frau 214
- 3.1.4 Zerrissenheit und Identitätssuche – Geschlechterbilder bei Margret Bilger 220
- 3.2 Geschwindigkeit – Fortschrittseuphorie versus Kulturpessimismus 232
- 3.2.1 Alfred Kubins Traumstadt „Perle“ als Versuchsstation der Fortschrittsverweigerung 236
- 3.2.2 „Im Riesengefängnis New York“: Erika Giovanna Klien und ihr Verhältnis zu Stadt, Geschwindigkeit und Technik 245
- 3.2.3 Der Rückzug aufs Land: Alfred Kubin und Margret Bilger 256
- 3.2.4 „Haste nicht und raste nie. Sonst hastet die Neurasthenie“: ein Exkurs zum Nervendiskurs 264
- 3.3 Esoterik – Spirituelle Sinnsuche im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert 271
- 3.4. Zweites Resümee oder: Welche Diskurse der Moderne die KünstlerInnen bewegten 308
- 3.1 Der Geschlechterdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts 180
- 4 KünstlerInnen und Politik – Von der Monarchie bis zum Nationalsozialismus 313
- 4.1 Die Legende vom unpolitischen Künstler – Zum Verständnis von Kunst und Politik bis 1945 315
- 4.2 Erster Weltkrieg und das Ende der k. u. k. Monarchie 319
- 4.3 Zwischen den Kriegen: Revolution(en), Republik(en), „Ständestaat“ 349
- 4.3.1 Der „Kunstlump“ – Oskar Kokoschka und die (deutsche) Revolution 353
- 4.3.2 Aloys Wach und die Münchner Räterepublik 360
- 4.3.3 Aus der Distanz: Erika Giovanna Klien und die österreichische Zwischenkriegszeit 368
- 4.3.4 „Weil ich nicht in der Vaterlandspartei bin“: Positionen zum „Ständestaat“ bei Oskar Kokoschka und Alfred Kubin 373
- 4.4 Nationalsozialismus 382
- 4.4.1 „… diese stummen Geister der Auflehnung“: Alfred Kubin und der Nationalsozialismus 385
- 4.4.2 Oskar Kokoschka: Selbstbildnis eines „entarteten“ Künstlers 397
- 4.4.3 „22° Waage“: Aloys Wach und der Nationalsozialismus 404
- 4.4.4 „… hätte ich aber die conträren Gesinnungen“: Margret Bilger und der Nationalsozialismus 409
- 4.5 Drittes Resümee oder: Wie politisch waren die „unpolitischen“ KünstlerInnen? 422
- Dank 426
- Abkürzungsverzeichnis 428
- Tabellen- und Abbildungsverzeichnis 429
- Quellen- und Literaturverzeichnis 431
- Archive und Sammlungen 431
- Zeitungen/Zeitschriften/Jahrbücher 432
- Literatur und gedruckte Quellen 432
- Personenregister 463