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| 3 KünstlerInnen und gesellschaftliche
Diskurse206
verschafft habe.93 Von seinen misogynen Zeichnungen der Frühphase distanzierte er
sich, wenn er sie sehe, „täte ihm das Herz weh“.94
3.1.2 „Mörder, Hoffnung der Frauen“:
Oskar Kokoschka und die (modernen) Amazonen
„Es war genau das, was ich mir über Frauen vorgestellt hatte,
als ich jung war ... Ich bin stärker!
Ich würde von ihr nicht verschlungen werden.“95
1909 reüssierte der junge Künstler Oskar Kokoschka bei der Zweiten Wiener Kunst-
schau nicht nur als bildender Künstler, sondern auch als Dramatiker. Noch bevor
sein Drama „Mörder, Hoffnung der Frauen“ im Rahmen der Kunstschau uraufge-
führt wurde, hatte das dazugehörige Plakat (Abb. 16) für Aufsehen gesorgt. For-
mal als Piéta-Darstellung komponiert, zeigt das Bild in greller expressionistischer
Darstellung den blutigen, roten Körper eines toten Mannes, der von einer in weiß
gehaltenen, bedrohlich-furchterregenden Frau im Schoß gehalten wird. Kokoschka
über die Kernaussage seines Plakats und des Dramas:
„Das Plakat, das ich sofort zeichnete und drucken ließ, stellte in knapper Zusammenfassung
den Sinn meines Dramas dar: Die Frau wird mich töten, wenn ich den Willen verliere. Ich
muß ein Gleichgewicht mit der Frau finden, sonst gehen entweder sie oder ich zugrunde.
Das war mein Problem. Der männliche Körper ist blutig rot – das ist die Lebensfarbe –, aber
er droht zu versinken und zu vergehen. Und die Frau ist weiß – das ist die Todesfarbe.“96
93 Vgl. z.B.: „Ich habe nach wie vor als Haupterlebnis das des Alterns und bemühe mich die Erschei-
nungen in diesem Gefälle produktiv noch zu verwerten, was mir nachdem die Peitsche des Sexuel-
len endlich wohltätig sich in den Hintergrund verzogen hat, neue – sublimierte Freude bietet.“ AK
an Hans von Müller, 27.4.1940, zit. nach Assmann (Hg.), Kubin handschriftlich, 22.
94 Alfred Kubin in einer Erwähnung an seinen Hausarzt Alois Beham, zit. nach Mairinger, Meine
Verehrung, 23.
95 Oskar Kokoschka in einem Gespräch mit Henry Schvey 1973 über sein Drama „Mörder, Hoffnung
der Frauen“, zit. in: Henry
I. Schvey, Mit dem Auge des Dramatikers. Das Visuelle Drama bei Oskar
Kokoschka, in: Erika Patka (Hg.), Oskar Kokoschka. Symposion, abgehalten von der Hochschule
für angewandte Kunst in Wien anlässlich des 100. Geburtstages des Künstlers, Salzburg, Wien
1986, 100–113, 104.
96 Zentralbibliothek Zürich (ZBZ), NL F. Wirz, Karton 81 (Oskar Kokoschka, Mein Leben. Typo-
skripte/Typoskriptteile), Fasz. 81. Diese Textstelle findet sich in der publizierten Fassung von
„Mein Leben“ nicht mehr beziehungsweise stark verändert.
Open-Access-Publikation im Sinne der Lizenz CC BY 4.0
Zeitwesen
Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
- Titel
- Zeitwesen
- Untertitel
- Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
- Autor
- Birgit Kirchmayr
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23310-7
- Abmessungen
- 17.3 x 24.5 cm
- Seiten
- 468
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung 11
- Fragestellung und Ausgangsthesen 11
- Theoretische Bezugsrahmen 14
- Quellen 17
- „Zeitwesen“ oder: die ProtagonistInnen 20
- 1 Auto/Biographieforschung – KünstlerInnenforschung 33
- 2 KünstlerInnen über sich 79
- 2.1 Alfred Kubin – ein autobiographical life 80
- 2.2 Oskar Kokoschka – der biographische „Jongleur“ 105
- 2.3 Aloys Wach – Selbstbespiegelungen eines Suchenden 136
- 2.4 Erika Giovanna Klien – Autobiographische Fragmente 150
- 2.5 Margret Bilger – Autobiographisches wider Willen 164
- 2.6 Erstes Resümee oder: Wie KünstlerInnen über sich schreiben und dabei „biographische Formeln“ verwenden 175
- 3 KünstlerInnen und gesellschaftliche Diskurse 179
- 3.1 Der Geschlechterdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts 180
- 3.1.1 Alfred Kubin und die Misogynie der Moderne 185
- 3.1.2 „Mörder, Hoffnung der Frauen“: Oskar Kokoschka und die (modernen) Amazonen 206
- 3.1.3 Erika Giovanna Klien – schwierige Emanzipationswege einer „neuen“ Frau 214
- 3.1.4 Zerrissenheit und Identitätssuche – Geschlechterbilder bei Margret Bilger 220
- 3.2 Geschwindigkeit – Fortschrittseuphorie versus Kulturpessimismus 232
- 3.2.1 Alfred Kubins Traumstadt „Perle“ als Versuchsstation der Fortschrittsverweigerung 236
- 3.2.2 „Im Riesengefängnis New York“: Erika Giovanna Klien und ihr Verhältnis zu Stadt, Geschwindigkeit und Technik 245
- 3.2.3 Der Rückzug aufs Land: Alfred Kubin und Margret Bilger 256
- 3.2.4 „Haste nicht und raste nie. Sonst hastet die Neurasthenie“: ein Exkurs zum Nervendiskurs 264
- 3.3 Esoterik – Spirituelle Sinnsuche im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert 271
- 3.4. Zweites Resümee oder: Welche Diskurse der Moderne die KünstlerInnen bewegten 308
- 3.1 Der Geschlechterdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts 180
- 4 KünstlerInnen und Politik – Von der Monarchie bis zum Nationalsozialismus 313
- 4.1 Die Legende vom unpolitischen Künstler – Zum Verständnis von Kunst und Politik bis 1945 315
- 4.2 Erster Weltkrieg und das Ende der k. u. k. Monarchie 319
- 4.3 Zwischen den Kriegen: Revolution(en), Republik(en), „Ständestaat“ 349
- 4.3.1 Der „Kunstlump“ – Oskar Kokoschka und die (deutsche) Revolution 353
- 4.3.2 Aloys Wach und die Münchner Räterepublik 360
- 4.3.3 Aus der Distanz: Erika Giovanna Klien und die österreichische Zwischenkriegszeit 368
- 4.3.4 „Weil ich nicht in der Vaterlandspartei bin“: Positionen zum „Ständestaat“ bei Oskar Kokoschka und Alfred Kubin 373
- 4.4 Nationalsozialismus 382
- 4.4.1 „… diese stummen Geister der Auflehnung“: Alfred Kubin und der Nationalsozialismus 385
- 4.4.2 Oskar Kokoschka: Selbstbildnis eines „entarteten“ Künstlers 397
- 4.4.3 „22° Waage“: Aloys Wach und der Nationalsozialismus 404
- 4.4.4 „… hätte ich aber die conträren Gesinnungen“: Margret Bilger und der Nationalsozialismus 409
- 4.5 Drittes Resümee oder: Wie politisch waren die „unpolitischen“ KünstlerInnen? 422
- Dank 426
- Abkürzungsverzeichnis 428
- Tabellen- und Abbildungsverzeichnis 429
- Quellen- und Literaturverzeichnis 431
- Archive und Sammlungen 431
- Zeitungen/Zeitschriften/Jahrbücher 432
- Literatur und gedruckte Quellen 432
- Personenregister 463