Seite - 313 - in Zeitwesen - Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
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4 KünstlerInnen und Politik – Von der Monarchie bis
zum Nationalsozialismus
Die im Zentrum dieser Studie stehenden KünstlerInnen haben eines gemeinsam: Sie
alle sind, räumlich wie zeitlich betrachtet, in der österreichisch-ungarischen Mon-
archie geboren. 1918 wurden sie zu BürgerInnen der Republik Österreich (bis 1919
Deutsch-Österreich) und erlebten ab 1933 den Abbau der jungen Demokratie durch
die Kanzlerdiktatur Dollfuß-Schuschnigg und 1938 den „Anschluss“ Österreichs an
NS-Deutschland. Mit Ausnahme von Aloys Wach, der das Ende der NS-Ära nicht
erlebte (er starb 1940 an einer Lungentuberkulose), waren sie weiters ZeitzeugInnen
von Entstehung und Fortgang der Zweiten Republik. Parallel zu den tiefgreifenden
politischen Veränderungen, die sich innerhalb nur weniger Jahrzehnte vollzogen
haben, ergaben sich von der Jahrhundertwende bis in die Nachkriegszeit auch im
kunst- und kulturpolitischen Feld gravierende Veränderungen, die von den Prota-
gonistInnen miterlebt und mitgestaltet wurden.
Die Fin-de-Siècle-Kultur der Habsburgermonarchie – Kubin und Kokoschka
können noch als deren Vertreter gesehen werden – ging spätestens mit dem Ersten
Weltkrieg zu Ende.1 Die Erste Republik versuchte sich kulturpolitisch neu zu po-
sitionieren und auch den KünstlerInnen neue Rollen und Wege zuzuweisen.2 Dass
diesen Weg nicht alle mitgingen, darauf verwies zuletzt der Politikwissenschafter An-
ton Pelinka, wenn er feststellt, die Kultur der Ersten Republik sei entweder „auf das
Gestern“ oder „ein erträumtes Morgen“ bezogen gewesen und habe die Gegenwart
der Republik weitgehend ignoriert.3 Monarchie-Nostalgiker der österreichischen
Kulturwelt wie die Literaten Stefan Zweig oder Joseph Roth werden dafür beispielhaft
angeführt. Tatsächlich findet sich vor allem im Bereich der Literatur, aber auch in
anderen kulturellen Feldern der österreichischen Zwischenkriegszeit, ein Hang zum
nostalgischen Rückblick. Den VertreterInnen des österreichischen Kulturlebens der
Zwischenkriegszeit den Gegenwartsbezug und ein Interesse für die sie umgebende
1 Auf die Nachhaltigkeit der kulturellen Blütezeit des Fin de Siècle auch in Bezug auf die Kulturbe-
wegung der 1920er-Jahre wird verwiesen in Helmut Konrad, Das Rote Wien. Ein Konzept für eine
moderne Großstadt? in: Helmut Konrad/Wolfgang Maderthaner (Hg.), … der Rest ist Österreich.
Das Werden der Ersten Republik, Wien 2008, 223–240, 223.
2 Vgl. dazu Siegfried Mattl, Kulturpolitik, in: Emmerich Tálos/Herbert Dachs/Ernst Hanisch/Anton
Staudinger (Hg.), Handbuch des politischen Systems Österreichs. Erste Republik 1918–1933, Wien
1995, 618–631.
3 Anton Pelinka, Die gescheiterte Republik. Kultur und Politik in Österreich 1918–1938, Wien 2017, 9.
Open-Access-Publikation im Sinne der Lizenz CC BY 4.0
Zeitwesen
Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
- Titel
- Zeitwesen
- Untertitel
- Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
- Autor
- Birgit Kirchmayr
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23310-7
- Abmessungen
- 17.3 x 24.5 cm
- Seiten
- 468
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung 11
- Fragestellung und Ausgangsthesen 11
- Theoretische Bezugsrahmen 14
- Quellen 17
- „Zeitwesen“ oder: die ProtagonistInnen 20
- 1 Auto/Biographieforschung – KünstlerInnenforschung 33
- 2 KünstlerInnen über sich 79
- 2.1 Alfred Kubin – ein autobiographical life 80
- 2.2 Oskar Kokoschka – der biographische „Jongleur“ 105
- 2.3 Aloys Wach – Selbstbespiegelungen eines Suchenden 136
- 2.4 Erika Giovanna Klien – Autobiographische Fragmente 150
- 2.5 Margret Bilger – Autobiographisches wider Willen 164
- 2.6 Erstes Resümee oder: Wie KünstlerInnen über sich schreiben und dabei „biographische Formeln“ verwenden 175
- 3 KünstlerInnen und gesellschaftliche Diskurse 179
- 3.1 Der Geschlechterdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts 180
- 3.1.1 Alfred Kubin und die Misogynie der Moderne 185
- 3.1.2 „Mörder, Hoffnung der Frauen“: Oskar Kokoschka und die (modernen) Amazonen 206
- 3.1.3 Erika Giovanna Klien – schwierige Emanzipationswege einer „neuen“ Frau 214
- 3.1.4 Zerrissenheit und Identitätssuche – Geschlechterbilder bei Margret Bilger 220
- 3.2 Geschwindigkeit – Fortschrittseuphorie versus Kulturpessimismus 232
- 3.2.1 Alfred Kubins Traumstadt „Perle“ als Versuchsstation der Fortschrittsverweigerung 236
- 3.2.2 „Im Riesengefängnis New York“: Erika Giovanna Klien und ihr Verhältnis zu Stadt, Geschwindigkeit und Technik 245
- 3.2.3 Der Rückzug aufs Land: Alfred Kubin und Margret Bilger 256
- 3.2.4 „Haste nicht und raste nie. Sonst hastet die Neurasthenie“: ein Exkurs zum Nervendiskurs 264
- 3.3 Esoterik – Spirituelle Sinnsuche im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert 271
- 3.4. Zweites Resümee oder: Welche Diskurse der Moderne die KünstlerInnen bewegten 308
- 3.1 Der Geschlechterdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts 180
- 4 KünstlerInnen und Politik – Von der Monarchie bis zum Nationalsozialismus 313
- 4.1 Die Legende vom unpolitischen Künstler – Zum Verständnis von Kunst und Politik bis 1945 315
- 4.2 Erster Weltkrieg und das Ende der k. u. k. Monarchie 319
- 4.3 Zwischen den Kriegen: Revolution(en), Republik(en), „Ständestaat“ 349
- 4.3.1 Der „Kunstlump“ – Oskar Kokoschka und die (deutsche) Revolution 353
- 4.3.2 Aloys Wach und die Münchner Räterepublik 360
- 4.3.3 Aus der Distanz: Erika Giovanna Klien und die österreichische Zwischenkriegszeit 368
- 4.3.4 „Weil ich nicht in der Vaterlandspartei bin“: Positionen zum „Ständestaat“ bei Oskar Kokoschka und Alfred Kubin 373
- 4.4 Nationalsozialismus 382
- 4.4.1 „… diese stummen Geister der Auflehnung“: Alfred Kubin und der Nationalsozialismus 385
- 4.4.2 Oskar Kokoschka: Selbstbildnis eines „entarteten“ Künstlers 397
- 4.4.3 „22° Waage“: Aloys Wach und der Nationalsozialismus 404
- 4.4.4 „… hätte ich aber die conträren Gesinnungen“: Margret Bilger und der Nationalsozialismus 409
- 4.5 Drittes Resümee oder: Wie politisch waren die „unpolitischen“ KünstlerInnen? 422
- Dank 426
- Abkürzungsverzeichnis 428
- Tabellen- und Abbildungsverzeichnis 429
- Quellen- und Literaturverzeichnis 431
- Archive und Sammlungen 431
- Zeitungen/Zeitschriften/Jahrbücher 432
- Literatur und gedruckte Quellen 432
- Personenregister 463