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sierte wesentlich später entstandene „Lebensbericht“ entstand nicht aus freiwilligem
Entschluss zu einer solchen Rückschau, sondern wiederum auf Aufforderung im
Kontext einer Ausstellung beziehungsweise Publikation über die Künstlerin.
2.5.2 Der „Lebensbericht“ (1968)
Zum Zeitpunkt der Niederschrift dieses Lebensberichtes war Margret Bilger 64
Jahre alt und als Künstlerin nach langen Jahren endlich etabliert. Anlässlich einer
Publikation über ihre Holzrisse sollte sie einen auto/biographischen Bericht verfas-
sen, was sie auch tat.264 Wenngleich nur ein kurzer Text, ist Bilgers „Lebensbericht“
von großem Interesse. In seiner knappen Form kann er als selbsterstellte „Essenz“
eines wechselvollen Künstlerinnenlebens gelesen werden.265 Bilger setzte in ihrem
Rückblick unerwartete Schwerpunkte und ging in vielem nicht konform mit üb-
lichen Narrativen einer Künstlerbiographie.
Irritierend ist bereits der Beginn, der sich gleichzeitig konventionell und unkon-
ventionell zeigt: Es fehlt die übliche Angabe der Autobiographin, wann und wo sie
geboren wurde, dafür erfolgt der Einstieg über biographische Angaben ihrer Vor-
fahren. So lautet der erste Satz:
„Mein Großvater mütterlicherseits August Mattey Guignet war Franzose und wanderte als
Bäckerlehrling in die Steiermark ein. […] Er gründete in Graz die erste steirische Kunst-
druckfabrik. Die Großmutter bäuerlichen Adels aus Niederösterreich soll hierzu noch im
kuratierte. Schmidt war auch Schriftleiter der Kulturnachrichten. Zu Schmidts Position in Be-
zug auf das NS-Regime vgl. Birgit Kirchmayr, Raubkunst im „Heimatgau des Führers“. Aspekte,
Zusammenhänge und Folgen von nationalsozialistischer Kulturpolitik und Kunstenteignung im
Reichsgau Oberdonau, in: Birgit Kirchmayr/Friedrich Buchmayr/Michael John, Geraubte Kunst in
Oberdonau, Linz 2007, 35–190, 90 ff.
264 Der Text wurde für eine Publikation der Holzrisse der Künstlerin 1968 angefertigt, aber erst in
einem Ausstellungskatalog 1975 posthum erstmals publiziert, nämlich in: Otto Wutzel (Hg.), Mar-
gret Bilger. 1904–1971. Ausstellungskatalog Zisterzienserstift Schlierbach, Linz 1975, 25–28.
265 Auch die Germanistin Petra-Maria Dallinger verweist auf die besondere Qualität des knappen „Le-
bensberichts“, den sie als „Biographie des 20. Jahrhunderts in der Reduktion auf einige geradezu
zeitlose Stereotype in paradoxer Weise anachronistisch“ bezeichnete. Petra-Maria Dallinger, Marg-
ret Bilger im Briefwechsel mit Alfred Kubin, in: Peter Assmann/Melchior Frommel (Hg.), Margret
Bilger. Das malerische Werk. Ausstellungskatalog Landesgalerie Oberösterreich, Weitra, Linz 1996,
15–22.
Open-Access-Publikation im Sinne der Lizenz CC BY 4.0
Zeitwesen
Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
- Titel
- Zeitwesen
- Untertitel
- Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
- Autor
- Birgit Kirchmayr
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23310-7
- Abmessungen
- 17.3 x 24.5 cm
- Seiten
- 468
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung 11
- Fragestellung und Ausgangsthesen 11
- Theoretische Bezugsrahmen 14
- Quellen 17
- „Zeitwesen“ oder: die ProtagonistInnen 20
- 1 Auto/Biographieforschung – KünstlerInnenforschung 33
- 2 KünstlerInnen über sich 79
- 2.1 Alfred Kubin – ein autobiographical life 80
- 2.2 Oskar Kokoschka – der biographische „Jongleur“ 105
- 2.3 Aloys Wach – Selbstbespiegelungen eines Suchenden 136
- 2.4 Erika Giovanna Klien – Autobiographische Fragmente 150
- 2.5 Margret Bilger – Autobiographisches wider Willen 164
- 2.6 Erstes Resümee oder: Wie KünstlerInnen über sich schreiben und dabei „biographische Formeln“ verwenden 175
- 3 KünstlerInnen und gesellschaftliche Diskurse 179
- 3.1 Der Geschlechterdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts 180
- 3.1.1 Alfred Kubin und die Misogynie der Moderne 185
- 3.1.2 „Mörder, Hoffnung der Frauen“: Oskar Kokoschka und die (modernen) Amazonen 206
- 3.1.3 Erika Giovanna Klien – schwierige Emanzipationswege einer „neuen“ Frau 214
- 3.1.4 Zerrissenheit und Identitätssuche – Geschlechterbilder bei Margret Bilger 220
- 3.2 Geschwindigkeit – Fortschrittseuphorie versus Kulturpessimismus 232
- 3.2.1 Alfred Kubins Traumstadt „Perle“ als Versuchsstation der Fortschrittsverweigerung 236
- 3.2.2 „Im Riesengefängnis New York“: Erika Giovanna Klien und ihr Verhältnis zu Stadt, Geschwindigkeit und Technik 245
- 3.2.3 Der Rückzug aufs Land: Alfred Kubin und Margret Bilger 256
- 3.2.4 „Haste nicht und raste nie. Sonst hastet die Neurasthenie“: ein Exkurs zum Nervendiskurs 264
- 3.3 Esoterik – Spirituelle Sinnsuche im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert 271
- 3.4. Zweites Resümee oder: Welche Diskurse der Moderne die KünstlerInnen bewegten 308
- 3.1 Der Geschlechterdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts 180
- 4 KünstlerInnen und Politik – Von der Monarchie bis zum Nationalsozialismus 313
- 4.1 Die Legende vom unpolitischen Künstler – Zum Verständnis von Kunst und Politik bis 1945 315
- 4.2 Erster Weltkrieg und das Ende der k. u. k. Monarchie 319
- 4.3 Zwischen den Kriegen: Revolution(en), Republik(en), „Ständestaat“ 349
- 4.3.1 Der „Kunstlump“ – Oskar Kokoschka und die (deutsche) Revolution 353
- 4.3.2 Aloys Wach und die Münchner Räterepublik 360
- 4.3.3 Aus der Distanz: Erika Giovanna Klien und die österreichische Zwischenkriegszeit 368
- 4.3.4 „Weil ich nicht in der Vaterlandspartei bin“: Positionen zum „Ständestaat“ bei Oskar Kokoschka und Alfred Kubin 373
- 4.4 Nationalsozialismus 382
- 4.4.1 „… diese stummen Geister der Auflehnung“: Alfred Kubin und der Nationalsozialismus 385
- 4.4.2 Oskar Kokoschka: Selbstbildnis eines „entarteten“ Künstlers 397
- 4.4.3 „22° Waage“: Aloys Wach und der Nationalsozialismus 404
- 4.4.4 „… hätte ich aber die conträren Gesinnungen“: Margret Bilger und der Nationalsozialismus 409
- 4.5 Drittes Resümee oder: Wie politisch waren die „unpolitischen“ KünstlerInnen? 422
- Dank 426
- Abkürzungsverzeichnis 428
- Tabellen- und Abbildungsverzeichnis 429
- Quellen- und Literaturverzeichnis 431
- Archive und Sammlungen 431
- Zeitungen/Zeitschriften/Jahrbücher 432
- Literatur und gedruckte Quellen 432
- Personenregister 463