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3.3 Esoterik – Spirituelle Sinnsuche im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert | 291
um aus der Sehnsucht der Menschen nach den übersinnlichen Dingen ihr profitables Ge-
schäft zu schlagen. Es ist daher einer meiner Wünsche für dieses Leben, in Form eines
Buches aufzuzeigen, was wahrlich gut ist an solchen zahlmagischen Operationen – und
warum im tiefsten Grunde und zum letzten Ende der Mensch den Hang zur Operation auf
solchem Gebiet ablegen soll. Denn die Beschäftigung mit okkulten Dingen kann ihn, den
Menschen, nur eines lehren: den Weg in die Spiritualität auf die einfachste Art zu suchen:
in der Selbstüberwindung, der Selbstpreisgabe, in der Armut um Gotteswillen. Das ist der
einzige wahre Weg zu den vorhandenen Geheimnissen, ein Weg ohne Irrwege, mit dem
einzig sicheren Ziel; bei dem aus dem Fauste ein Chriuste werden kann und muss.“355
Dass er sich in seiner spirituellen Suche nicht auf vermeintliche Heilsbringer verlas-
sen dürfe, sondern auf sich selbst bauen müsse, formulierte Wach 1931 eindringlich
in seinem Tagebuch: „Ich habe mich zu malen und mir an Hand meiner Arbeit mein
Himmelreich zu schaffen.“ 356
Exkurs: Die „Affäre Schappeller“
„Das Reich Utopia feierte fröhliche Urständ.“ 357
Aloys Wachs esoterisches Interesse bildete auch die Grundlage für seine Involvie-
rung in die heute weitgehend unbekannte, zeitgenössisch allerdings breit wahrge-
nommene „Affäre Schappeller“, die räumlich in der kleinen oberösterreichischen
Gemeinde Aurolzmünster und zeitlich in den 1920er- und frühen 1930er-Jahren zu
verorten ist.
Aurolzmünster liegt wenige Kilometer außerhalb der Bezirkshauptstadt Ried im
Innkreis, etwa 40 Kilometer von Wachs Wohnort Braunau entfernt. Die Ansied-
lung wird bis heute dominiert von einem im 17. Jahrhundert erbauten Schloss, das
sich ab dem frühen 19.
Jahrhundert im Besitz der Grafen Arco von Valley befunden
hatte. Im Jahr 1925 wurde das Schloss mit Hilfe verschiedener finanzieller Förderer
355 Aloys Wach, Tagebuchblätter seit 1933, Eintrag 19.2.1934. Die Unterstreichung der Buchstaben im
Wort „Fa-uste“ und „Chri-uste“ im Original ist sicher auf Wachs Interesse an der Bedeutung von
Buchstaben/Ziffern im kabbalistischen Sinn zurückzuführen, erscheint mir aber nicht eindeutig
dechiffrierbar. Möglicherweise gibt es einen Zusammenhang zum arabischen Namen „Fachri“, was
soviel bedeutet wie „freiwilliger Helfer“.
356 Aloys Wach, Biographische Notizen 1929 (mit Nachträgen 1931), Eintrag 9.3.1931.
357 Wach, Schin, der Herr der Zahl 22, 31.
Open-Access-Publikation im Sinne der Lizenz CC BY 4.0
Zeitwesen
Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
- Titel
- Zeitwesen
- Untertitel
- Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
- Autor
- Birgit Kirchmayr
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23310-7
- Abmessungen
- 17.3 x 24.5 cm
- Seiten
- 468
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung 11
- Fragestellung und Ausgangsthesen 11
- Theoretische Bezugsrahmen 14
- Quellen 17
- „Zeitwesen“ oder: die ProtagonistInnen 20
- 1 Auto/Biographieforschung – KünstlerInnenforschung 33
- 2 KünstlerInnen über sich 79
- 2.1 Alfred Kubin – ein autobiographical life 80
- 2.2 Oskar Kokoschka – der biographische „Jongleur“ 105
- 2.3 Aloys Wach – Selbstbespiegelungen eines Suchenden 136
- 2.4 Erika Giovanna Klien – Autobiographische Fragmente 150
- 2.5 Margret Bilger – Autobiographisches wider Willen 164
- 2.6 Erstes Resümee oder: Wie KünstlerInnen über sich schreiben und dabei „biographische Formeln“ verwenden 175
- 3 KünstlerInnen und gesellschaftliche Diskurse 179
- 3.1 Der Geschlechterdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts 180
- 3.1.1 Alfred Kubin und die Misogynie der Moderne 185
- 3.1.2 „Mörder, Hoffnung der Frauen“: Oskar Kokoschka und die (modernen) Amazonen 206
- 3.1.3 Erika Giovanna Klien – schwierige Emanzipationswege einer „neuen“ Frau 214
- 3.1.4 Zerrissenheit und Identitätssuche – Geschlechterbilder bei Margret Bilger 220
- 3.2 Geschwindigkeit – Fortschrittseuphorie versus Kulturpessimismus 232
- 3.2.1 Alfred Kubins Traumstadt „Perle“ als Versuchsstation der Fortschrittsverweigerung 236
- 3.2.2 „Im Riesengefängnis New York“: Erika Giovanna Klien und ihr Verhältnis zu Stadt, Geschwindigkeit und Technik 245
- 3.2.3 Der Rückzug aufs Land: Alfred Kubin und Margret Bilger 256
- 3.2.4 „Haste nicht und raste nie. Sonst hastet die Neurasthenie“: ein Exkurs zum Nervendiskurs 264
- 3.3 Esoterik – Spirituelle Sinnsuche im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert 271
- 3.4. Zweites Resümee oder: Welche Diskurse der Moderne die KünstlerInnen bewegten 308
- 3.1 Der Geschlechterdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts 180
- 4 KünstlerInnen und Politik – Von der Monarchie bis zum Nationalsozialismus 313
- 4.1 Die Legende vom unpolitischen Künstler – Zum Verständnis von Kunst und Politik bis 1945 315
- 4.2 Erster Weltkrieg und das Ende der k. u. k. Monarchie 319
- 4.3 Zwischen den Kriegen: Revolution(en), Republik(en), „Ständestaat“ 349
- 4.3.1 Der „Kunstlump“ – Oskar Kokoschka und die (deutsche) Revolution 353
- 4.3.2 Aloys Wach und die Münchner Räterepublik 360
- 4.3.3 Aus der Distanz: Erika Giovanna Klien und die österreichische Zwischenkriegszeit 368
- 4.3.4 „Weil ich nicht in der Vaterlandspartei bin“: Positionen zum „Ständestaat“ bei Oskar Kokoschka und Alfred Kubin 373
- 4.4 Nationalsozialismus 382
- 4.4.1 „… diese stummen Geister der Auflehnung“: Alfred Kubin und der Nationalsozialismus 385
- 4.4.2 Oskar Kokoschka: Selbstbildnis eines „entarteten“ Künstlers 397
- 4.4.3 „22° Waage“: Aloys Wach und der Nationalsozialismus 404
- 4.4.4 „… hätte ich aber die conträren Gesinnungen“: Margret Bilger und der Nationalsozialismus 409
- 4.5 Drittes Resümee oder: Wie politisch waren die „unpolitischen“ KünstlerInnen? 422
- Dank 426
- Abkürzungsverzeichnis 428
- Tabellen- und Abbildungsverzeichnis 429
- Quellen- und Literaturverzeichnis 431
- Archive und Sammlungen 431
- Zeitungen/Zeitschriften/Jahrbücher 432
- Literatur und gedruckte Quellen 432
- Personenregister 463