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GEWALT IM
COMPUTERSPIEL38
„The anthropology of experience deals with how indi viduals actually experience their cul-
ture, that is, how events are received by consciousness. By experience we mean not just
sense data, cognition, or, in Dilthey’s phrase, ‚the diluted juice of reason,‘ but also fee-
lings and expectations. […] experience comes to us not just verbally but also in images
and impressions. […] Lived experience, then, as thought and desire, as word and image,
is the primary reality.“117
Dabei vertreten die Autoren des Bandes bei aller Unterschiedlichkeit keinen essen-
tialistischen Erfahrungsbegriff, der auf das ‚tatsächliche Erleben‘ der beforschten
Akteure zielt. Sie reflektieren und kontextualisieren stattdessen die Konstruiert-
heit von Erfahrungen und damit im Sinne Deweys auch ihre Prozesshaftigkeit
und Eingebundenheit in aktive Tätigkeiten. Zentral ist dabei, so Bruner, das Ver-
hältnis von experience und expression.118 Dieses sei dialogisch und dialektisch, in-
sofern Erfahrungen einerseits durch Artikulationen ausgedrückt werden, diese
Artikulationen aber zugleich kulturelle Prozesse sind, die wiederum in die Routi-
nen Einzelner eingehen und deren Erfahrungen (vor-)strukturieren. Unter expres-
sions versteht Bruner nicht nur verbale Aussagen, sondern verschiedene Formen
kultureller Performanz, die niemals statisch sind, sondern situationsbedingte
dynamische Prozesse bilden:
„[A]n expression is never an isolated, static text. Instead, it always involves a processual
activity, a verb form, an action rooted in a social situation with real persons in a par-
ticular culture in a given historical era. A ritual must be enacted, a myth recited, a narra-
tive told, a novel read, a drama performed […]. Expressions are constitutive and shap ing,
not as abstract texts but in the activity that actualizes the text. It is in this sense that
texts must be performed to be experienced, and what is constitutive is in the production.
We deal here with performed texts, recognizing that the anthropology of per formance is
part of the anthropology of experience.“119
Sieht man davon ab, dass hier mit „expressions“ vor allem herausragende Momen-
te kultureller Performanz (wie etwa Rituale oder Dramenaufführung) bezeichnet
sind, deren Analyse noch einer Vorstellung von „Kultur als Text“ verbunden ist,
dann erweist sich dieser Ansatz als anschlussfähig an alltagsnahe praxistheore-
tische Perspektiven. Denn auch für Bruner sind Erfahrungen untrennbar ver-
knüpft mit ihrer Artikulation durch ein aktives Tun. Erfahrung und Tun fallen
letztendlich in Eins.
Diese geteilte Grundannahme ermöglicht, die praxistheoretische Perspektive
auf Emotionen bei aller Unterschiedlichkeit um eine methodologische Position
117 | Edward M. Bruner: Experience and Its Expressions. In: Turner/Ders. (Hg.): The An-
thropology of Experience, S. 3-30, hier: S. 4.
118 | Vgl. ebd., insb.: S. 5-7.
119 | Ebd., S. 7.
Gewalt im Computerspiel
Facetten eines Vergnügens
- Title
- Gewalt im Computerspiel
- Subtitle
- Facetten eines Vergnügens
- Author
- Christoph Bareither
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-3559-5
- Size
- 14.8 x 22.5 cm
- Pages
- 370
- Keywords
- Gewalt, Videospiele, Mediensoziologie, Computerspiel, Kulturanthropologie
- Category
- Medien
Table of contents
- 1. Einleitung 7
- 2. Theorie und Methode 15
- 3. Virtuell-körperlich 93
- 4. Kompetitiv und kooperativ 199
- 5. Dramatisch und deviant 247
- 6. Ambivalent 297
- 7. Zusammenfassung und Ausblick 321
- Literatur und Anhang 333
- Literatur 333
- Verzeichnis der zitierten Computerspielzeitschriftenbeiträge 353
- Verzeichnis der zitierten YouTube-Videos 359
- Verzeichnis der geführten Interviews 364