Page - 297 - in Gewalt im Computerspiel - Facetten eines Vergnügens
Image of the Page - 297 -
Text of the Page - 297 -
DRAMATISCH UND DEVIANT 295
ihn halt so verfaultes Obst essen lassen und mit Alkohol abgefüllt und nach zwei Minuten
lag er da tot auf dem Boden (lacht). Der Typ hat sich aber auch echt nicht gewehrt, ey
[also im Sprachkanal nicht widersprochen oder versucht freizukommen, C.B.]!“ (IV8)
Sein Mitspieler Milo ergänzt :
„Da hab ich mir erstmal voll an den Kopf gepackt: ‚Alter, Kerby! Wir haben den gerade
umgebracht (lacht)!‘ Und noch zwei Tage danach hab ich mir noch echt Vorwürfe ge-
macht, weil der Kerl da eigentlich, der wollte überhaupt nichts Böses, der wollte nur da
lang gehen, und wir haben ihn dann aufgehalten und gefesselt, und er kam da nicht raus,
und hatte wahrscheinlich auch so ein bisschen Panik. Kerby stand da halt und hat ihn ein
bisschen gefüttert, da gab es ein bisschen Obst und Alkoholtinkturen, (alle lachen) das
war halt alles nicht so gesund. [...] (Lachend) Oh das war schon echt eine miese Situa-
tion, ja. Ich glaube, das war auch so das Hinterhältigste ... ich werd auch versprechen,
dass ich das nie wieder mache! Das war halt echt nur Neugier.“ (IV8)
Die wiederholte Erklärung, der Grund für solche Aktionen sei die Neugier, mag
einerseits ein Versuch der positiven Deutung eines devianten Verhaltens und
Fühlens sein. Doch sie zeigt auch: Solche Überschreitungen können interessant
sein, insofern sie ein ungewohntes Fühlen erlauben. Voraussetzung dafür ist al-
lerdings, dass die jeweiligen Prozesse nicht gänzlich für voll genommen, sondern
als spielerisch verstanden werden. Das wird auch deutlich, als ich einen Moment
später nach dem erwähnten schlechten Gewissen frage. Kerby antwortet:
„Jaaa, ich hab schon irgendwo ein schlechtes Gewissen bei dem Typen, den wir jetzt
geforcefeeded [zwangsernährt, C.B.] haben, bis er umgefallen ist. Also ich bin jetzt nicht
davon ausgegangen, dass er nach zwei verfaulten Äpfeln und ein bisschen Alkohol stirbt.
Natürlich hab ich da irgendwo ein schlechtes Gewissen, sag ich mal. Aber irgendwo war
es halt auch lustig! Also es ist natürlich ein Spiel, deswegen ist das lustig.“ (IV8)
Den Beschreibungen und Deutungen von Milo und Kerby haftet der Eindruck
an, dass sie ihren Gegner nicht ernsthaft quälen, sondern auf spielerische Weise
ärgern möchten. Zugleich bringen sie aber zur Sprache, dass sie das eigene Han-
deln in Momenten des Sich-Einlassens auf die Bedeutungen der hier vorkommen-
den Repräsentationen physischer Gewalt (die auf Praktiken wie Foltern, Quälen
und Töten verweisen) als Überschreitung empfinden. Dass Kerby einräumt, er
habe „natürlich [...] ein schlechtes Gewissen“, doch zugleich sei das „lustig“ (s.o.),
verweist auf die auch hier entstehende Erfahrung einer letztlich als humorvoll ge-
deuteten Inkongruenz. Diese auf ganz ähnliche Weise wie in Singleplayer-Games
als lustig gedeutete Überschreitung von feeling rules macht die Spezifik der Prak-
tiken des Trollens oder Ärgerns in Multiplayer-Games aus.
Gewalt im Computerspiel
Facetten eines Vergnügens
- Title
- Gewalt im Computerspiel
- Subtitle
- Facetten eines Vergnügens
- Author
- Christoph Bareither
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-3559-5
- Size
- 14.8 x 22.5 cm
- Pages
- 370
- Keywords
- Gewalt, Videospiele, Mediensoziologie, Computerspiel, Kulturanthropologie
- Category
- Medien
Table of contents
- 1. Einleitung 7
- 2. Theorie und Methode 15
- 3. Virtuell-körperlich 93
- 4. Kompetitiv und kooperativ 199
- 5. Dramatisch und deviant 247
- 6. Ambivalent 297
- 7. Zusammenfassung und Ausblick 321
- Literatur und Anhang 333
- Literatur 333
- Verzeichnis der zitierten Computerspielzeitschriftenbeiträge 353
- Verzeichnis der zitierten YouTube-Videos 359
- Verzeichnis der geführten Interviews 364