Page - 313 - in Gewalt im Computerspiel - Facetten eines Vergnügens
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AMBIVALENT 311
teln: „Alter ... Ich sitz hier grad ein bisschen fassungslos.“ Der Gefolterte verrät
eine weitere Information und als Avatar Michael tötet Gronkh letztendlich die
gesuchte Zielperson. Dann erst ist alles vorbei.
In dieser Sequenz-Abfolge vermischen sich alle oben beschriebenen Arten
negativ gedeuteter Erfahrungen. Die Let’s Player zeigen sich schockiert über die
Drastik der Gewaltrepräsentation, haben Mitleid mit dem Opfer, artikulieren so-
gar emphatisch dessen Schmerz, und vor allem zeigen sie ernsthaften Wider-
willen gegen die eigene virtuelle Tätigkeit, die ihnen durch das Spiel gewisser-
maßen aufgezwungen wird (vorausgesetzt, sie wollen im Haupthandlungsstrang
weiterkommen). Zugleich vermischen sich diese negativ gedeuteten mit humor-
vollen Erfahrungen, woraus sich in diesem Beispiel ein besonders ausgeprägtes
Changieren zwischen beiden Erfahrungsfacetten ergibt. In unserer Gesellschaft
gültige feeling rules sind dahingehend eindeutig, dass Folter keine positiv gedeu-
teten Gefühle mobilisieren darf (vgl. auch Kap. 5.3). In der Sequenz mit dem
Auto-Starterkabel – darauf weisen die kommunizierenden Emotionspraktiken
der Let’s Player hin – erzeugt genau diese Klarheit eine besonders kontrastreiche
Inkongruenz der emotionalen Erfahrungen. Die Abscheu gegenüber der virtuell
ausgeführten Tätigkeit bricht sich an der plötzlich durchgeführten, scheinbar ne-
ckischen Tätigkeit des In-die-Brustwarze-Zwickens und wirkt für die Let’s Player
besonders komisch. Im Endeffekt überwiegt hier aber nicht die humorvolle, son-
dern die negative Deutung der Erfahrung.
Diese bereitet hier zugleich einen Reflexionsprozess vor. Denn im Gegensatz
zu anderen Sequenzen, wie beispielsweise dem „Kein Russisch“-Level (s.o.), wird
die Foltersequenz anschließend durch das Spielnarrativ in ihrer Bedeutung hin-
terfragt. Trevor soll nach der Folter, die er sichtlich genießt, den Gefangenen töten
und die Leiche verschwinden lassen. Während er ansonsten als rücksichtsloser
Massenmörder dargestellt wird, zeigt er hier unvermittelt seine mitfühlende Sei-
te, fährt den Gefolterten zum Flughafen und hilft ihm so zu entkommen. Auf der
Fahrt hält Trevor eine Art selbstreflexiven Monolog über den Sinn von Folter, die
ihm zufolge eine denkbar ungeeignete Methode der Informationsbeschaffung
ist. Vielmehr gehe es – mit dem Begriff dieser Arbeit gesprochen – um das Ver-
gnügen daran. Trevor: „You torture for the good times! We should all admit that.“38
Dieser Spruch artikuliert den oben bereits angesprochenen Bruch eines eigent-
lich unverrückbaren Tabus: Foltern darf keine guten Gefühle auslösen. Dass sie
es bei Trevor dennoch tut und der Spieler diesen Avatar steuern muss, trägt zu
den äußerst ambivalenten Erfahrungen der Let’s Player bei.
Aus dieser Situation heraus beginnen sie nun, sich kritische Fragen zu stel-
len.39 Sarazar: „Das ist echt heftig. Also diese Mission [die Spielsequenz, C.B.]
38 | Ebd., 21:30-21:40. https://www.youtube.com/embed/buBF-6aanO4?start=1290&
end=1300
39 | Ebd., 22:00 -22:53. https://www.youtube.com/embed/buBF-6aanO4?start=1320&
end=1373
Gewalt im Computerspiel
Facetten eines Vergnügens
- Title
- Gewalt im Computerspiel
- Subtitle
- Facetten eines Vergnügens
- Author
- Christoph Bareither
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-3559-5
- Size
- 14.8 x 22.5 cm
- Pages
- 370
- Keywords
- Gewalt, Videospiele, Mediensoziologie, Computerspiel, Kulturanthropologie
- Category
- Medien
Table of contents
- 1. Einleitung 7
- 2. Theorie und Methode 15
- 3. Virtuell-körperlich 93
- 4. Kompetitiv und kooperativ 199
- 5. Dramatisch und deviant 247
- 6. Ambivalent 297
- 7. Zusammenfassung und Ausblick 321
- Literatur und Anhang 333
- Literatur 333
- Verzeichnis der zitierten Computerspielzeitschriftenbeiträge 353
- Verzeichnis der zitierten YouTube-Videos 359
- Verzeichnis der geführten Interviews 364