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ZUSAMMENFASSUNG UND AUSBLICK 331
sie dadurch stets eine physische Veränderung bewirkt, kann sie grundsätzlich als
Gestaltungsvorgang und dabei ästhetisch wahrgenommen werden. Zugleich ist
physische Gewalt aber mit vielfältigen sozialen Bedeutungen verflochten. Sie ist
vor allem ein bedeutungsvolles Mittel der physischen Unterwerfung und damit
der Herstellung von sozialer Überlegenheit und Unterlegenheit. Das verleiht ihr
das Potenzial zur Mobilisierung entsprechender sozioemotionaler Erfahrungen.
Diese Bedeutung von physischer Gewalt ist aber niemals rein abstrakt. Ich verwei-
se nochmals auf Heinrich Popitz’ Argumentation, dass Gewalt für den Menschen
immer machbar ist und genau dadurch zu einer Grundkonstante menschlichen
Daseins wird, auch wenn man gerade nicht akut physische Gewalt ausübt be-
ziehungsweise sie einem widerfährt (vgl. auch Kap. 3.1.5). Wendet man dieses
Argument praxistheoretisch, dann wäre von einem inkorporierten Wissen aus-
zugehen, das alle Menschen in ihren Körpern tragen. Mit anderen Worten: Die
Bedeutungen physischer Gewalt sind in jeden menschlichen Körper eingeschrie-
ben. Das ist deshalb entscheidend, weil diese Bedeutungen somit auch universell
verständlich sind, auf eine körperliche und auch emotionale Weise. Zusätzlich zu
diesem körperlichen Verstehen ist physische Gewalt in unserer Gesellschaft aber
auch mit hochkomplexen Netzwerken aus Regeln verwoben, die sie in besonde-
ren Fällen tabuisieren, in anderen nahelegen oder sogar explizit einfordern. Diese
Regeln sind nicht nur juristisch und kulturell, sondern immer auch emotional.
In unterschiedlichen Situationen fordert physische Gewalt unterschiedliche Ge-
fühle ein – gemein haben sie lediglich, dass sie verhältnismäßig stark sind und
emotional polarisieren. All das muss mitgedacht werden, wenn man verstehen
möchte, wie physische Gewalt zu dem wird, was Trutz von Trotha treffend eine
„Wirklichkeit der Gefühle“ nannte.1 Sie strotzt geradezu vor Potenzialen, um Ak-
teure emotionale Erfahrungen machen zu lassen.
Normalerweise findet das in nicht-vergnüglichen Kontexten statt, doch ge-
nau wegen dieser Potenziale werden Repräsentationen physischer Gewalt eben
auch in sehr unterschiedlichen populärkulturellen Kontexten genutzt. Solche
Repräsentationen haben sich beispielsweise als beliebtes Element der populären
Literatur wie auch des Films und Fernsehens und natürlich verschiedener nicht-
computergestützter Spielformate erhalten – ganz zu schweigen von hunderten
Jahren Geschichte der bildenden Künste, in deren Kontexten die Darstellung von
Gewalt ein wichtiger Bestandteil ästhetischen Vergnügens war und ist. Compu-
terspielgewalt ist aus dieser Perspektive nicht mehr und nicht weniger als die
konsequente Fortsetzung einer langen Tradition. In mancher Hinsicht kann sie
andere Formate sogar überbieten. Dafür ist vor allem ihre Virtualität ausschlag-
gebend (vgl. dazu auch Kap. 2.2.3), die eine besonders detaillierte Repräsentation
physischer Gewalt und eine aktive Nutzung dieser Repräsentationen durch die
Spieler erlaubt. Diese Form der Aktivität ist virtuell-körperlich (vgl. dazu auch
Kap. 3.1.3), was zum entscheidenden Alleinstellungsmerkmal im Vergleich zu
1 | Von Trotha: Zur Soziologie der Gewalt, S. 26.
Gewalt im Computerspiel
Facetten eines Vergnügens
- Title
- Gewalt im Computerspiel
- Subtitle
- Facetten eines Vergnügens
- Author
- Christoph Bareither
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-3559-5
- Size
- 14.8 x 22.5 cm
- Pages
- 370
- Keywords
- Gewalt, Videospiele, Mediensoziologie, Computerspiel, Kulturanthropologie
- Category
- Medien
Table of contents
- 1. Einleitung 7
- 2. Theorie und Methode 15
- 3. Virtuell-körperlich 93
- 4. Kompetitiv und kooperativ 199
- 5. Dramatisch und deviant 247
- 6. Ambivalent 297
- 7. Zusammenfassung und Ausblick 321
- Literatur und Anhang 333
- Literatur 333
- Verzeichnis der zitierten Computerspielzeitschriftenbeiträge 353
- Verzeichnis der zitierten YouTube-Videos 359
- Verzeichnis der geführten Interviews 364