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DRAMATISCH UND DEVIANT 279
5.3 ÜBERSCHREITEN
Die vorangegangenen Kapitel diskutierten, wie das spezifische Bedeutungspo-
tenzial physischer Gewalt durch seine Einbindung in Narrative oder soziale Dy-
namiken die Widerfahrnis und Ausübung ludisch-virtueller Gewalt dramatisch
aufladen kann. Bei der Ausübung ging es um solche Arten der ludisch-virtuellen
Gewalt, die in Einklang mit gesellschaftlich und kulturell anerkannten Gefühls-
regeln als positiv gedeutet wurden. Der Begriff der Gefühlsregeln meint hier
solche Regeln, die in Zusammenhang mit bestimmten Praktiken den Akteuren
bestimmte Arten und Weisen des Fühlens erlauben, besonders nahelegen oder
tabuisieren. Wie mehrfach gezeigt wurde, gilt es den Spielern beispielsweise als
völlig selbstverständlich, sich an gerechter Gegengewalt zu erfreuen. Ihr besonde-
res Potenzial für das Spielvergnügen entfalten diese Gefühslregeln aber nicht nur
dort, wo sie bei der Ausübung von Computerspielgewalt eingehalten beziehungs-
weise affirmativ umgesetzt, sondern auch und vor allem dort, wo sie durch ein de-
viantes beziehungsweise abweichendes Handeln und Fühlen gebrochen werden.
Ein besseres Verständnis dieser Erfahrungsfacette ermöglicht das von Arlie
Russell Hochschild geprägte Konzept der feeling rules, das sie ursprünglich im
Kontext einer Studie zur emotionalen Arbeit (u.a. von Stewardessen) entwickel-
te.47 Grundsätzlich ist Hochschilds Ansatz gut mit emotionspraxistheoretischen
Zugängen vereinbar, insofern sie Emotionen als Gegenstand gezielter Gestal-
tungsvorgänge untersucht:
„Emotion, it is argued, can be and often is subject to acts of management. The individual
often works on inducing or inhibiting feelings so as to render them ‚appropriate‘ to a
situation. The emotion-management perspective [...] allows us to inspect [...] the relation
among emotiv experience, emotion management, feeling rules, and ideology. Feeling
rules are seen as the side of ideology that deals with emotion and feeling. Emotion ma-
nagement is the type of work it takes to cope with feeling rules.“48
Feeling rules sind also eng gekoppelt an aktive Tätigkeiten, die Hochschild als emo-
tion management oder auch emotion work beschreibt. Darunter fällt beispielsweise
47 | Vgl. u.a. Arlie Russell Hochschild: Emotion Work, Feeling Rules, and Social Struc-
ture. In: The American Journal of Sociology 85 (1979), H. 3, S. 551-575; Dies: The Ma-
naged Heart. Commercialization of Human Feeling. Twentieth Anniversary Edition. With a
New Afterword. Berkeley/Los Angeles 2003 [erstmals 1983]; Gertraud Koch hat bereits
die Produktivität des Konzepts für die ethnografische Arbeitskulturenforschung disku-
tiert, vgl. Dies.: Feeling Rules – Unfound Treasures for the Study of Work Cultures. In:
Dies./Stefanie Everke Buchanan (Hg.): Pathways to Empathy. New Studies on Commodi-
fication, Emotional Labor, and Time Binds. Frankfurt a.M. 2013, S. 123-140.
48 | Hochschild: Emotion Work, Feeling Rules, and Social Structure, S. 551.
Gewalt im Computerspiel
Facetten eines Vergnügens
- Title
- Gewalt im Computerspiel
- Subtitle
- Facetten eines Vergnügens
- Author
- Christoph Bareither
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-3559-5
- Size
- 14.8 x 22.5 cm
- Pages
- 370
- Keywords
- Gewalt, Videospiele, Mediensoziologie, Computerspiel, Kulturanthropologie
- Category
- Medien
Table of contents
- 1. Einleitung 7
- 2. Theorie und Methode 15
- 3. Virtuell-körperlich 93
- 4. Kompetitiv und kooperativ 199
- 5. Dramatisch und deviant 247
- 6. Ambivalent 297
- 7. Zusammenfassung und Ausblick 321
- Literatur und Anhang 333
- Literatur 333
- Verzeichnis der zitierten Computerspielzeitschriftenbeiträge 353
- Verzeichnis der zitierten YouTube-Videos 359
- Verzeichnis der geführten Interviews 364