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THEORIE UND METHODE 39
der Anthropology of Experience zu ergänzen: Letztere betrachtet die Analyse von
Erfahrungen als eine interpretative Tätigkeit. Genau wie Emotionen entziehen
sich auch Erfahrungen der objektiven Greifbarkeit und Beschreibung durch die
Erfahrenden. „How, then“, fragt Bruner, „do we overcome the limitations of indi-
vidual experience? Dilthey’s […] answer was that we ‚transcend the narrow sphere
of experience by interpreting expressions.‘“120
In der konkreten Umsetzung fällt die Interpretation kultureller Artikulatio-
nen in der Anthropology of Experience zwar anders aus als eine Interpretation
von Emotionspraktiken, doch die grundsätzliche Haltung der ersteren lässt sich
auch bei einer Analyse von Vergnügen produktiv anwenden. Vergnügen zu ana-
lysieren meint dann, Emotionspraktiken zu erfassen und zu interpretieren, um
aufbauend auf dieser Interpretation die im Vergnügungsprozess gemachten emo-
tionalen Erfahrungen beschreiben zu können.
Dieser methodologische Ansatz ist nicht unproblematisch. Bei der Interpreta-
tion von Praktiken im Hinblick auf emotionale Erfahrungen läuft die ethnografi-
sche Forschung immer auch Gefahr, falsch zu interpretieren (und, wie es Clifford
Geertz beschreibt, Scheinzwinkern für Zwinkern zu halten121). Damit ist nicht
gesagt, dass so etwas wie eine ‚tatsächliche Erfahrung‘ erfass- oder beschreibbar
wäre, sondern dass ethnografische Studien in ihrem Bemühen auch zu weit ge-
hen und von der nachvollziehbaren Interpretation in Spekulation abdriften kön-
nen. Dieser Konflikt lässt sich auch bei der Analyse von Vergnügen nicht einfach
beiseite räumen. Es gilt im Einzelnen zu entscheiden, ob entsprechende Interpre-
tationen valide und nachvollziehbar sind.
2.2 LUDISCH-VIRTUELLE GEWALT
Während das vorangegangene Kapitel beschrieb, was es meint, einen Prozess als
Vergnügen zu verstehen und zu untersuchen, wird im Folgenden konkretisiert,
welchem spezifischen Vergnügen sich diese Arbeit widmet. Ich spreche dabei
vom Vergnügen an und mit ludisch-virtueller Gewalt (kurz: Computerspielge-
walt). Ein ausführliches theoretisches Grundlagenkapitel dazu ist notwendig, um
Unklarheiten und Missverständnisse auszuräumen. Denn obwohl in den letzten
zwei Jahrzehnten intensiv über Computerspielgewalt (oder wie immer man die-
ses Phänomen bezeichnen möchte) diskutiert wurde, bleibt auch in wissenschaft-
lichen Studien meist unklar, was eigentlich darunter zu verstehen ist. Während
beispielsweise Psychologie und Pädagogik eine Fülle an Studien zu den mögli-
chen Wirkungen oder Effekten von Computerspielgewalt bereitstellen, wird dabei
120 | Ebd., S. 5.
121 | Vgl. Clifford Geertz: Dichte Beschreibung. Bemerkungen zu einer deutenden Theo-
rie von Kultur. In: Ders.: Dichte Beschreibung. Beiträge zum Verstehen kultureller Syste-
me. Frankfurt a.M. 1987, S. 7-43, hier: S. 10-12.
Gewalt im Computerspiel
Facetten eines Vergnügens
- Title
- Gewalt im Computerspiel
- Subtitle
- Facetten eines Vergnügens
- Author
- Christoph Bareither
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-3559-5
- Size
- 14.8 x 22.5 cm
- Pages
- 370
- Keywords
- Gewalt, Videospiele, Mediensoziologie, Computerspiel, Kulturanthropologie
- Category
- Medien
Table of contents
- 1. Einleitung 7
- 2. Theorie und Methode 15
- 3. Virtuell-körperlich 93
- 4. Kompetitiv und kooperativ 199
- 5. Dramatisch und deviant 247
- 6. Ambivalent 297
- 7. Zusammenfassung und Ausblick 321
- Literatur und Anhang 333
- Literatur 333
- Verzeichnis der zitierten Computerspielzeitschriftenbeiträge 353
- Verzeichnis der zitierten YouTube-Videos 359
- Verzeichnis der geführten Interviews 364