Page - 45 - in Gewalt im Computerspiel - Facetten eines Vergnügens
Image of the Page - 45 -
Text of the Page - 45 -
THEORIE UND METHODE 43
ausgesetzt man nimmt Abstand davon, entgegen ihrer Selbstwahrnehmung ein
entsprechendes emotionales Erleben zu unterstellen). Damit ist nicht gesagt, dass
individuelle Wahrnehmungen und Deutungen keinen Einfluss auf die Spieler-
fahrung haben, sondern dass eine grundlegende Definition von Computerspiel-
gewalt nicht hier ansetzen kann. Sonst könnte, wenn beispielsweise Spieler in
Interviews angeben, dass sie das Schießen in einem Ego-Shooter eben nicht als
Gewalt, sondern als sportliche Aktivität erleben,131 die entsprechende Praxis be-
reits nicht mehr als Computerspielgewalt untersucht werden.
Ein ähnliches Problem stellt sich bei der Definition von „virtual violence“ in
einem für die medienpsychologische Forschung zu Computerspielen einflussrei-
chen Text von Tilo Hartmann und Peter Vorderer. Im Hinblick auf die Frage, was
die Gewalt in Computerspielen trotz der anzunehmenden negativen Affekte so
lustvoll und vergnüglich macht, definieren sie „virtual violence […] as any user
behavior that follows the intention to do harm to other social characters in a video
game […]“.132 Der entscheidende Punkt ist hier der Zusatz „social“. Aufbauend auf
einer Reihe psychologischer Untersuchungen argumentieren die Autoren, dass
Computerspieler ihre Gegner nicht als neutrale Objekte, sondern „quasi-social“133
wahrnehmen, und gerade wegen dieser Art der Wahrnehmung könne hier von
Gewalt gesprochen werden: „Virtual violence thus involves harm to quasi-social
characters that potentially fall into ‚the scope of justice‘ and have a ‚moral status‘.“134
Die plausiblen Überlegungen zu einem quasi-sozialen Verhältnis zu com-
putergesteuerten Gegnern (vgl. dazu auch Kap. 3.1.5) sind allerdings für eine
grundlegende Definition von Computerspielgewalt ähnlich problematisch wie
die oben angeführten. Denn auch hier werden individuelle Wahrnehmungen zur
Grundlage der Definition des Untersuchungsgegenstands. Dass Spieler compu-
tervermittelte Gegner quasi-sozial wahrnehmen können, heißt nicht, dass sie das
auch müssen. Hartmanns und Vorderers Definition würde dementsprechend das
Problem aufwerfen, dass bestimmte Spielprozesse nur situativ als Computerspiel-
gewalt zu behandeln wären, beziehungsweise (etwa wenn mehrere Spieler mit
unterschiedlichen Wahrnehmungen gemeinsam spielen) zugleich Computer-
spielgewalt und keine Computerspielgewalt sein könnten.
Das Problem der individuellen und heterogenen Wahrnehmung von Gewalt
zieht sich auch durch andere Studien. Mitunter wird eine bestimmte Art der
Wahrnehmung auch als Begründung herangezogen, um sich nicht mit Gewalt
131 | Genau diese Deutung zeigte sich in einer dieser Studie vorausgehenden Unter-
suchung als weit verbreitet unter Spielern von Counter-Strike. Vgl. dazu auch Christoph
Bareither: Ego-Shooter-Spielkultur. Eine Online-Ethnographie. Tübingen 2012, S. 87ff.
132 | Tilo Hartmann/Peter Vorderer: It’s Okay to Shoot a Character: Moral Disengage-
ment in Violent Video Games. In: Journal of Communication 60 (2010), S. 94-119, hier:
S. 95.
133 | Ebd., S. 97.
134 | Ebd.
Gewalt im Computerspiel
Facetten eines Vergnügens
- Title
- Gewalt im Computerspiel
- Subtitle
- Facetten eines Vergnügens
- Author
- Christoph Bareither
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-3559-5
- Size
- 14.8 x 22.5 cm
- Pages
- 370
- Keywords
- Gewalt, Videospiele, Mediensoziologie, Computerspiel, Kulturanthropologie
- Category
- Medien
Table of contents
- 1. Einleitung 7
- 2. Theorie und Methode 15
- 3. Virtuell-körperlich 93
- 4. Kompetitiv und kooperativ 199
- 5. Dramatisch und deviant 247
- 6. Ambivalent 297
- 7. Zusammenfassung und Ausblick 321
- Literatur und Anhang 333
- Literatur 333
- Verzeichnis der zitierten Computerspielzeitschriftenbeiträge 353
- Verzeichnis der zitierten YouTube-Videos 359
- Verzeichnis der geführten Interviews 364