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GEWALT IM
COMPUTERSPIEL86
die Zielrichtung derselben nicht mit derer ethnografischer Studien decken muss.
Die GTM zielt explizit auf Theoriebildung. Ethnografien dagegen versuchen – zu-
mindest im hier vertretenen Verständnis – das zu erreichen, was Clifford Geertz
„dichte Beschreibung“ nennt.244 In Bezug auf die GTM ergeben sich dadurch ent-
scheidende Unterschiede, auf die auch Strauss und Corbin explizit verweisen.245
Die folgende Studie erarbeitet zwar mit Hilfe der GTM theoretische Argumente,
doch sie hat letztlich vor allem „das nachfühlende Verstehen kulturellen Lebens
zum Ziel“.246 Um dieses Ziel zu erreichen, bedarf es eigenständiger Wege der
computergestützten Analyse.
Konkreter erster Schritt war es, aus den vorerst rein explorativ gewonnenen
Materialien Perspektiven und Fragestellungen zu entwickeln, was im Sinne eines
„‚Aufbrechen[s]‘ der Daten“ prinzipiell dem Verfahren der offenen Codierung der
GTM entspricht (ohne diesem Verfahren aber in seinen Details zu folgen).247 In
der verwendeten Analysesoftware werden dazu in erster Linie sogenannte Codes
erstellt und mit markierten Stellen innerhalb der Materialien (digitalisierte Feld-
tagebücher, Transkripte von Interviews bzw. Videos sowie PDF-Scans der Com-
puterspielzeitschriften) verbunden, wo sie als sogenannte Codings dauerhaft am
Rand neben den jeweiligen Texten oder Bildern sichtbar bleiben. Ein Code kann
vieles sein: ein Schlagwort, ein Thema, eine Frage, ein Argument oder eine In-
terpretation. Im Sinne eines ethnografischen Nachspürens nach relevanten Per-
spektiven legte ich mich vorerst bewusst nicht auf eine Art von Codes fest. Erst
mit der Zuspitzung der anfangs noch offenen Fragestellung gerieten die verschie-
denen auf Computerspielgewalt bezogenen Emotionspraktiken in den Fokus der
Codierung.
Ein Beispiel: Eine signifikante Emotionspraxis ist das Beschimpfen von (so-
wohl computergesteuerten als auch menschlichen) Gegnern. Alle entsprechen-
den Stellen im Feldtagebuch und in den LP-Videos sowie Kommentare in Inter-
views oder Verweise in Computerspielzeitschriften auf diese Praxis wurden mit
entsprechenden Codings versehen. An den als „Beschimpfungen“ markierten
Stellen wird der ethnografische Blick dann aufmerksam für kompetitive Zu-
sammenhänge, für soziale Dynamiken der Rache oder für die Frage nach den
spezifischen Gefühlsregeln bei der Artikulation von Feindschaft. Auf die gleiche
Weise wurden zahlreiche andere Emotionspraktiken codiert, beispielsweise das
gegenseitige Loben für gelungene Kills, die routinierte Artikulation von Schre-
244 | Vgl. Geertz: Dichte Beschreibung.
245 | Vgl. Strauss/Corbin: Grounded Theory Methodology, S. 274; Strübing: Grounded
Theory, S. 50.
246 | Schmidt-Lauber: Feldforschung, S. 236.
247 | Vgl. grundlegend auch Strauss/Corbin: Basics of Qualitative Research, S. 101-
121. Die Bezeichnung der „offenen“ Codierung wählen Strauss und Corbin, „[b]ecause
to uncover, name, and develop concepts, we must open up the text and expose the
thoughts, ideas, and meanings contained therein.“ Ebd., S. 102.
Gewalt im Computerspiel
Facetten eines Vergnügens
- Title
- Gewalt im Computerspiel
- Subtitle
- Facetten eines Vergnügens
- Author
- Christoph Bareither
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-3559-5
- Size
- 14.8 x 22.5 cm
- Pages
- 370
- Keywords
- Gewalt, Videospiele, Mediensoziologie, Computerspiel, Kulturanthropologie
- Category
- Medien
Table of contents
- 1. Einleitung 7
- 2. Theorie und Methode 15
- 3. Virtuell-körperlich 93
- 4. Kompetitiv und kooperativ 199
- 5. Dramatisch und deviant 247
- 6. Ambivalent 297
- 7. Zusammenfassung und Ausblick 321
- Literatur und Anhang 333
- Literatur 333
- Verzeichnis der zitierten Computerspielzeitschriftenbeiträge 353
- Verzeichnis der zitierten YouTube-Videos 359
- Verzeichnis der geführten Interviews 364