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VIRTUELL-KÖRPERLICH 129
Existenzweise.“126 Als soziale Praxis wird physische Gewalt also nicht wirksam
obwohl, sondern gerade weil sie körperbezogen ist.
Diese Überlegungen im Kontext von Computerspielen anzuführen, soll nicht
auf eine Gleichsetzung von ludisch-virtueller Gewalt mit faktischer physischer
Gewalt hinarbeiten. Wie Popitz verdeutlicht, basiert die soziale Funktion von phy-
sischer Gewalt unter anderem auf der Möglichkeit der Zufügung von körperli-
chem Schmerz, was in Computerspielen unmöglich ist. Möglich ist in ihnen aber
der spielerische Umgang mit den sozial aufgeladenen Bedeutungen von Gewalt,
die auf unserem praktischen Wissen über die Implikationen faktischer physischer
Gewalt aufbauen. Für Popitz ist das Verhältnis zwischen Mensch und physischer
Gewalt geprägt durch das „‚Bewusstsein des Todes‘: das heißt nicht nur Bewusst-
sein der eigenen Sterblichkeit, sondern auch Bewusstsein des Töten-Könnens.
Selbsttötung wie die Tötung anderer: der Tod ist für den Menschen machbar.“127
Das Wissen um diese Machbarkeit ist ein implizites, praktisches Wissen, das wir
im Alltag ernst nehmen. Im Spiel nehmen wir Gewalt zwar nicht ernst, doch wir
können mit ihren Bedeutungspotenzialen spielerisch umgehen, um dadurch als
angenehm gedeutete Emotionen zu mobilisieren.
Wichtig ist dabei die soziale Bedeutung der Ausübung von Gewalt als De-
monstration von Überlegenheit und dadurch gegebenenfalls von Macht und Herr-
schaft. „Gewalt“, schreibt Popitz, „gilt als äußerste Steigerung der Überlegenheit
über andere Menschen.“128 Noch deutlicher formuliert es Sofsky:
„Die physische Gewalt ist der intensivste Machtbeweis. Sie trifft das Opfer unmittelbar im
Zentrum seiner Existenz, in seinem Körper. Keine Sprache ist von größerer Überzeugungs-
kraft als die Sprache der Gewalt. Sie braucht keine Übersetzung und lässt keine Fragen
offen. Nirgendwo hat die Macht mehr wirkende Kraft, nirgendwo ist sie mehr Wirklichkeit.
Keine andere Aktion zeigt drastischer die Überlegenheit des Herrn über den Knecht. In
der Verletzung bekommt er die Macht im eigenen Leibe zu spüren.“129
Diese Bedeutung von Gewalt wird im Umgang mit ihren computervermittelten
Repräsentationen nicht zwangsläufig ernst genommen, doch meistens spielerisch
aufgegriffen. Dadurch wird ludische Gewalt einerseits zu einer effektiven Geste
in kompetitiven Spielprozessen, worauf ich später genauer eingehen werde (vgl.
Kap. 4.1.2). Doch die Demonstration von Überlegenheit durch Computerspielge-
walt birgt nicht nur eine kompetitive Erfahrung im Sinne von „Ich bin besser als
du“, sondern (noch grundlegender) auch eine virtuell-körperliche und zugleich
sozial orientierte Erfahrung im Sinne von „Ich dominiere dich körperlich“. Genau
das demonstriert auch das oben genannte Beispiel aus einem Let’s Play-Video.
126 | Sofsky: Traktat über die Gewalt, S. 19.
127 | Popitz: Phänomene der Macht, S. 52-53 [H.i.O.].
128 | Ebd., S. 67.
129 | Sofsky: Traktat über die Gewalt, S. 19.
Gewalt im Computerspiel
Facetten eines Vergnügens
- Title
- Gewalt im Computerspiel
- Subtitle
- Facetten eines Vergnügens
- Author
- Christoph Bareither
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-3559-5
- Size
- 14.8 x 22.5 cm
- Pages
- 370
- Keywords
- Gewalt, Videospiele, Mediensoziologie, Computerspiel, Kulturanthropologie
- Category
- Medien
Table of contents
- 1. Einleitung 7
- 2. Theorie und Methode 15
- 3. Virtuell-körperlich 93
- 4. Kompetitiv und kooperativ 199
- 5. Dramatisch und deviant 247
- 6. Ambivalent 297
- 7. Zusammenfassung und Ausblick 321
- Literatur und Anhang 333
- Literatur 333
- Verzeichnis der zitierten Computerspielzeitschriftenbeiträge 353
- Verzeichnis der zitierten YouTube-Videos 359
- Verzeichnis der geführten Interviews 364