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VIRTUELL-KÖRPERLICH 167
3.2.3 Schmerz und Tod
Die Beobachtung einer embodiment relation im Prozess der Widerfahrnis von
Computerspielgewalt wirft zwangsläufig die Frage auf, was eigentlich passiert,
wenn die Avatare von Spielern durch Angriffe verletzt beziehungsweise getötet
werden. Während in Slender das Getötetwerden recht abstrakt bleibt, ist es in an-
deren Horrorgames, aber auch und vor allem in kampfbetonten Actiongames,
wesentlich deutlicher und als konkreter physischer Akt repräsentiert. Dass die
Spieler sich in solchen Momenten nicht fühlen, als würden sie faktisch sterben,
liegt auf der Hand. Dennoch ist das virtuell-körperliche Sterben mehr als eine
neutrale Markierung für eine Niederlage im Spielprozess.233
Bevor im Folgenden dieses Sterben im Fokus steht, bleibt seine Vorstufe zu
diskutieren: das Getroffen- beziehungsweise Verletztwerden des eigenen Avatars.
Aus computerspielgeschichtlicher Perspektive war die zentrale Grundlage dafür
das bereits in den 1980er-Jahren aufkommende Konzept der Lebensenergie, teils
Health Points (HP) genannt, das eine graduelle Unterscheidung der Verletzungen
des eigenen Avatars erlaubte. Wurde der eigene Avatar getroffen, war er nicht
mehr wie zuvor umgehend tot, sondern verlor (je nach Stärke des Angriffs) einen
Teil seiner HP, die er durch das Aufsammeln sogenannter Medikits wieder auffül-
len konnte. Daneben gab es in vielen Spielen eine Anzeige für Rüstungspunkte,
die wie eine Verdoppelung der Lebenspunkte-Anzeige funktionierte und eben-
falls durch das Aufsammeln spezieller virtueller Gegenstände aufgefüllt werden
konnte. Der für sein Genre wegweisende Ego-Shooter Doom von 1993 wies bereits
beide Spielmechanismen auf.
Während diese sich in vielen zeitgenössischen Actiongames noch immer fin-
den, lassen sich seit einigen Jahren auch neue Tendenzen beobachten. So ver-
zichten viele neuere Spiele gänzlich auf HP-Anzeigen und Medikits. Stattdessen
werden Treffer durch visuelle Effekte wie Blutspritzer auf dem Bildschirm oder
eine Entfärbung und Weichzeichnung des Bildes (als würde einem das Blut aus
den Adern entrinnen und schwummrig werden) repräsentiert, die mit zuneh-
mender Intensität der Treffer stärker werden und dann in den Tod des eigenen
Avatars münden. Um wieder zu gesunden, muss der eigene Avatar lediglich in
Deckung bewegt werden, wo er sich nach kurzer Wartezeit regeneriert. Der Ego-
Shooter Call of Duty 2 von 2005 setzte als eines der ersten sehr populären Spie-
le diese Mechanismen ein. Dadurch wird ein im Gegensatz zum berechnenden
Blick auf die eigene HP-Anzeige dynamisches Changieren zwischen Angriff und
Rückzug im Spielprozess und ein intuitiver Umgang mit den Verletzungen des
233 | Vgl. für eine vielschichtige Analyse von Spielerperspektiven auf das Sterben im
MMORPG World of Warcraft Lisbeth Klastrup: What Makes World of Warcraft a World?
A Note on Death and Dying. In: Hilde G. Corneliussen/Jill Walker Rettberg (Hg.): Digital
Culture, Play, and Identity. A World of Warcraft Reader. Cambridge, MA/London 2008,
S. 143-166.
Gewalt im Computerspiel
Facetten eines Vergnügens
- Title
- Gewalt im Computerspiel
- Subtitle
- Facetten eines Vergnügens
- Author
- Christoph Bareither
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-3559-5
- Size
- 14.8 x 22.5 cm
- Pages
- 370
- Keywords
- Gewalt, Videospiele, Mediensoziologie, Computerspiel, Kulturanthropologie
- Category
- Medien
Table of contents
- 1. Einleitung 7
- 2. Theorie und Methode 15
- 3. Virtuell-körperlich 93
- 4. Kompetitiv und kooperativ 199
- 5. Dramatisch und deviant 247
- 6. Ambivalent 297
- 7. Zusammenfassung und Ausblick 321
- Literatur und Anhang 333
- Literatur 333
- Verzeichnis der zitierten Computerspielzeitschriftenbeiträge 353
- Verzeichnis der zitierten YouTube-Videos 359
- Verzeichnis der geführten Interviews 364