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VIRTUELL-KÖRPERLICH 189
bald“; und mit Bezug auf die davongeschleuderten Gegner fügten sie erfreut hin-
zu: „Wie die wegfliegen, wie lustig!“; oder „Es regnet Leichen grade!“ (FT)
Während die beiden sich auf diese Weise begeisterten und ich selbst, mit
meinem Avatar unten im Panzer kauernd, ihre Sprüche in mein Feldtagebuch
tippte, schlichen sich einige gegnerische Infanteristen mit Panzerfäusten unbe-
merkt von hinten an unsere inzwischen auf vier Panzer angewachsene Kolonne
heran. Als um mich herum alles explodierte, sprang ich mit meinem Avatar ins
Freie. Meine Verbündeten waren alle tot – eher aus Zufall schaffte ich es, unseren
letzten überlebenden Widersacher meinerseits zu töten. Als sich die Explosionen
beruhigten, sah ich: Einer der Panzer war noch intakt. Ich stieg also ein und saß
nun selbst unverhofft in jener „richtig dicken Kiste“ (s.o.).
Ich war überrascht und erfreut über das sich mir eröffnende Aktions potenzial.
Denn die Runden zuvor waren für mich regelrecht frustrierend gewesen. Wäh-
rend meine Mitspieler mit ihren Panzern gleich scharenweise Gegner vernichtet
und dadurch nicht nur Erfahrungen von Einschlagslust und Dominanz gemacht
hatten, sondern obendrein noch jede Menge Punkte einheimsen konnten, von
denen sie sich wiederum bessere Waffen kaufen durften, war ich in den letzten
zwanzig Minuten auf gerade einmal zwei Kills gekommen. Nun aber richtete ich
das Kanonenrohr meines eroberten Panzers auf das gegenüberliegende Ufer aus
– und feuerte. Es rummste in meinen Kopfhörern, mein Bildschirm schien zu
wackeln und nur den Bruchteil einer Sekunde später schlug mein Geschoss ein.
Ich sah schemenhaft in der Ferne, wie gleich mehrere gegnerische Avatare durch
die Luft geschleudert wurden. Volltreffer! Auf meinem Bildschirm die Anzeige:
„Kill!“ Darunter wurden sogleich in leuchtender Schrift die Punkte aufaddiert,
die ich durch meine Zerstörungsleistung eingeworben hatte. Inzwischen war ein
Mitspieler herbeigeeilt und stieg in den Maschinengewehr-Geschützstand mei-
nes Panzers. Wir rumpelten nach vorn, griffen die Gegner frontal an und „heiz[t]
en ihnen richtig ein“, wie es mein MG-Schütze formulierte. (FT) Erst nachdem
wir jede Menge Schaden angerichtet hatten, wurden wir von einer Panzerfaust in
die Luft gesprengt. Zufrieden waren wir aber allemal.
In solchen Spielprozessen kann das spezifische Aktionspotenzial eines vir-
tuellen Panzers oder einer anderen Kampfmaschine zum Ausgangspunkt für
herausragende emotionale Erfahrungen werden. Diese entstehen nicht einfach
aus der computervermittelten Repräsentation der Situation, in einem Panzer zu
sitzen. Sondern insofern der Panzer zum Avatar wird und der Spieler dadurch
eine embodiment relation zum Panzer eingehen kann, erfährt er sich durch ihn
als besonders stark und wirksam. Zugleich bleibt der Panzer in seiner Funktion
als ästhetisches Objekt, als „richtig dicke Kiste“ oder „böses Teil“ (s.o.), erhalten.
Genau wie Rüstungen oder in der virtuellen Hand getragene Waffen erweitern
Kampfmaschinen so den Kreislauf der virtuell-körperlichen Erfahrungen rund
um den eigenen Avatar im Prozess ludisch-virtueller Gewalt.
Gewalt im Computerspiel
Facetten eines Vergnügens
- Title
- Gewalt im Computerspiel
- Subtitle
- Facetten eines Vergnügens
- Author
- Christoph Bareither
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-3559-5
- Size
- 14.8 x 22.5 cm
- Pages
- 370
- Keywords
- Gewalt, Videospiele, Mediensoziologie, Computerspiel, Kulturanthropologie
- Category
- Medien
Table of contents
- 1. Einleitung 7
- 2. Theorie und Methode 15
- 3. Virtuell-körperlich 93
- 4. Kompetitiv und kooperativ 199
- 5. Dramatisch und deviant 247
- 6. Ambivalent 297
- 7. Zusammenfassung und Ausblick 321
- Literatur und Anhang 333
- Literatur 333
- Verzeichnis der zitierten Computerspielzeitschriftenbeiträge 353
- Verzeichnis der zitierten YouTube-Videos 359
- Verzeichnis der geführten Interviews 364