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DRAMATISCH UND DEVIANT 257
seines Sohnes hantiert und dadurch als liebender Familienvater inszeniert wird.
Einige Zeit später gerät er in Gefangenschaft und wird vom Anführer der Ter-
roristen beziehungsweise einem Handlanger vor laufenden Kameras exekutiert
(empfohlenes Beispiel).21 Diese Sequenz stellt eine spezifische Art der media-
len Inszenierung von Kriegsverbrechen dar und rekurriert dabei auf die öffent-
liche Empörung über solche Aktionen in tatsächlichen Kriegsgebieten, um die
damit verbundenen Emotionen in den Spielverlauf einzubinden. Anders als es
in einer filmischen Repräsentation der Fall wäre, wird hier dem Spieler, der aus
der Ego-Perspektive am Geschehen teilnimmt, gewissermaßen selbst die Kehle
durchgeschnitten, was die Dramatik der Situation nochmals steigert. Wie auch
in obigem Beispiel artikuliert Sarazar ein Sich-Einlassen auf diesen Moment, in-
dem er nach einem kurzen Ausruf der Empörung – „Was habt ihr Dreckschwei-
ne vor?!“ – das Durchschneiden der Kehle mit einem Schmerzenslaut perfor-
mativ begleitet, dann einen Moment schweigt und schließlich die LP-Folge mit
den bedrückten Worten: „Rest in Peace, Miller“, abschließt – auch hier gefolgt
von zahlreichen traurigen Emoticons und entsprechenden Kommentaren durch
die ZuschauerInnen.22 Erneut vermischt sich in letzteren die Widerfahrnis von
Computerspielgewalt mit Traurigkeit und Wut beziehungsweise Empörung. Ein
ZuschauerInnen-Kommentar fasst beides zusammen: „Rest in Piece [Peace, C.B.]
Miller :( [trauriges Emoticon, C.B.] Sein armer Sohn , diese grausamen Penner!“23
Deutlich wird bis hierhin, dass das spezifische Bedeutungspotenzial von
Computerspielgewalt als drastischer Einschnitt in ein bestehendes Ordnungs-
gefüge die Narrative von Actiongames bereichert. Mit anderen Worten: Aus
den Bedeutungen, die außerhalb des Computerspielens mit physischer Gewalt
verbunden sind, können durch die Einbindung in ein Spielnarrativ besondere
Emotionspotenziale entstehen. Um diesen Prozess besser zu verstehen, helfen
Überlegungen des Kulturwissenschaftlers Winfried Fluck, der sich zwar vor al-
lem mit Literatur-, Bild- und Filmrezeption auseinandersetzt,24 dabei aber ein an
die ethnografische Computerspielanalyse anschlussfähiges Modell entwickelt.
Fluck setzt sich im Zuge der Erforschung ästhetischer Erfahrungen (vgl. auch
Kap. 2.1.4) insbesondere mit der Frage auseinander, wie wir die Geschehnisse
21 | Sarazar: Let’s Play Battlefield 3 #011 [Deutsch] [Full-HD] - Keine Angst vor dem Bö sen
(5.11.2011), 12:15-13:39. https://www.youtube.com/embed/yzNqOu7SNZQ?start=735&
end=819
22 | Vgl. https://www.youtube.com/all_comments?v=yzNqOu7SNZQ
23 | Ebd.
24 | Vgl. u.a. Fluck: California Blue; Ders.: Emotional Structures in American Fiction.
In: Marietta Messmer/Josef Raab (Hg.): American Vistas and Beyond. A Festschrift for
Roland Hagenbüchle. Trier 2002, S. 65-93; Ders.: Funktionsgeschichte und ästhetische
Erfahrung; Ders.: Playing Indian. Aesthetic Experience, Recognition, Identity. In: Frank
Kelleter/Daniel Stein (Hg.): American Studies as Media Studies. Heidelberg 2008, S.
73-92.
Gewalt im Computerspiel
Facetten eines Vergnügens
- Title
- Gewalt im Computerspiel
- Subtitle
- Facetten eines Vergnügens
- Author
- Christoph Bareither
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-3559-5
- Size
- 14.8 x 22.5 cm
- Pages
- 370
- Keywords
- Gewalt, Videospiele, Mediensoziologie, Computerspiel, Kulturanthropologie
- Category
- Medien
Table of contents
- 1. Einleitung 7
- 2. Theorie und Methode 15
- 3. Virtuell-körperlich 93
- 4. Kompetitiv und kooperativ 199
- 5. Dramatisch und deviant 247
- 6. Ambivalent 297
- 7. Zusammenfassung und Ausblick 321
- Literatur und Anhang 333
- Literatur 333
- Verzeichnis der zitierten Computerspielzeitschriftenbeiträge 353
- Verzeichnis der zitierten YouTube-Videos 359
- Verzeichnis der geführten Interviews 364