Page - 307 - in Gewalt im Computerspiel - Facetten eines Vergnügens
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AMBIVALENT 305
nicht mehr positiv deutbaren Tabubruch überschritten. So schreibt beispielsweise
Daniel Matschikewsky:
„Mich erschüttert, mit welcher Hemmungslosigkeit Modern Warfare 2 das Flughafen-Mas-
saker zeigt. Das liegt nicht nur an der hohen Opferzahl oder spritzenden Blutfontänen,
sondern vor allem an der unreflektierten Darstellung dieses Amoklaufs. Denn über die
Motivation, die dahinter steckt, verliert das Spiel kein Wort. Stattdessen läuft man als
reaktions- und gesichtsloser Beobachter nebenher, unfähig, etwas gegen das Morden
zu unternehmen. Die Entwickler beweisen damit jeglichen Mangel an Feingefühl. So viel
Spaß ich mit dem Rest des packend in Szene gesetzten Spiels hatte, diese Effekthasche-
rei schockiert mich und entwertet für mich das gesamte Spiel.“30
Mit voller Wucht treten hier wieder solche ambivalenten Gefühle in Erscheinung,
die in der Berichterstattung zu Actionspielen schon fast vergessen schienen. Die
(vermutlich angestrebte) öffentliche Aufmerksamkeit erreichten die Entwick-
lerInnen damit allemal. Doch zugleich entsteht hier auf neue Weise eine in den
1990er-Jahren noch bekannte, dann aber lange Zeit in den Hintergrund getrete-
ne Erfahrungsqualität im Prozess ludisch-virtueller Gewalt: ernsthaft als negativ
(und eben nicht als humorvoll überschreitend) gedeutete Gefühle. Während sich
eine ganze Reihe wissenschaftlicher Arbeiten mit ethisch-moralischen Fragen im
Prozess des Computerspielens auseinandersetzt (teils auch mit konkretem Fokus
auf die beschriebene „Kein Russisch“-Sequenz),31 wird dabei nur am Rande da-
nach gefragt, wie die Spieler solche ambivalenten Momente erleben. Diese Frage
steht im Folgenden im Vordergrund.
30 | Petra Schmitz/Daniel Matschijewsky: Packende Action, doofe Story. Call of Duty:
Modern Warfare 2 im Test. In: Gamestar.de (10.11.2009). http://www.gamestar.de/spiele/
call-of-duty-modern-warfare-2/test/call_of_duty_modern_warfare_2,44634,2310440.
html
31 | Vgl. exemplarisch Matthias Finke: Kritik – Konflikt. Versuch über die ästhetische Di-
mension von Computerspielen am Beispiel von Call of Duty: Modern Warfare 2. In: Rudolf
Thomas Inderst/Peter Just/Michael Hochgeschwender (Hg.): Contact, Conflict, Combat.
Zur Tradition des Konfliktes in digitalen Spielen. Boizenburg 2011, S. 105-120; Souvik
Mukherjee: „Follow Makarov’s Lead?“ Ethical Conflicts in Videogames and the Controver-
sial ‚No Russian‘ Level. In: Ebd., S.43-61; Felix Schröter: Das moralische Dilemma. Zur
(Un)möglichkeit moralischer Ambivalenz in digitalen Spielen. In: BMWFJ (Hg.): Game Over.
Was nun? Vom Nutzen und Nachteil des digitalen Spiels für das Leben. Dokumentation
der Tagung Future and Reality of Gaming 2012. Wien 2012, S. 133-146; Miguel Sicart:
Digital Games as Ethical Technologies. In: John Richard Sageng/Hallvard Fossheim/Tarjei
Mandt Larsen (Hg.): The Philosophy of Computer Games. Heidelberg/New York/London
2012, S. 101-124.
Gewalt im Computerspiel
Facetten eines Vergnügens
- Title
- Gewalt im Computerspiel
- Subtitle
- Facetten eines Vergnügens
- Author
- Christoph Bareither
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-3559-5
- Size
- 14.8 x 22.5 cm
- Pages
- 370
- Keywords
- Gewalt, Videospiele, Mediensoziologie, Computerspiel, Kulturanthropologie
- Category
- Medien
Table of contents
- 1. Einleitung 7
- 2. Theorie und Methode 15
- 3. Virtuell-körperlich 93
- 4. Kompetitiv und kooperativ 199
- 5. Dramatisch und deviant 247
- 6. Ambivalent 297
- 7. Zusammenfassung und Ausblick 321
- Literatur und Anhang 333
- Literatur 333
- Verzeichnis der zitierten Computerspielzeitschriftenbeiträge 353
- Verzeichnis der zitierten YouTube-Videos 359
- Verzeichnis der geführten Interviews 364