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Kakanien als Gesellschaftskonstruktion - Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
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150 Teil I: Grundlegung Kultur des Films aber nicht recht Eingang gefunden hat“226. Es handelt sich bei der apostrophierten Literatur offensichtlich in erster Linie um Musils eigene Literatur227, was Frank zwar durchaus nahelegt, in seiner BeweisfĂŒhrung aber nur mit Blick auf die frĂŒhen ErzĂ€hltexte der Vereinigungen untersucht, deren Ästhetik Musil um 1925 schon lĂ€ngst verabschiedet hatte. Es geht ihm Mitte der zwanziger Jahre keineswegs mehr um die Rettung des noch von Hof- mannsthal in Anspruch genommenen und nunmehr von den Wissenschaf- ten sowie den avancierten technischen „Apparaten“ gefĂ€hrdeten literarischen „Privileg[s] der Aufzeichnung des FlĂŒchtigen“228, und er zielt deshalb auch nicht in erster Linie auf „die besondere AusprĂ€gung der Wahrnehmung und die Strategien des Aufschreibens“229, wie Frank mit Blick auf die allgemeine kulturhistorische Situation um 1925 vermutet.230 Musils Stoßrichtung ist zu 226 Ebd., S. 137 f.; vgl. GrĂ€tz : Psychopathologie und Ästhetik, S. 193. BalĂĄzs hat 1923 in einer literarischen Beilage der Österreichischen Rundschau unter dem Titel Grenzen das bis dahin vor- liegende literarische Werk Musils rezensiert ; vgl. dazu Rußegger : Kinema mundi, S. 116–121. 227 Vgl. die Hinweise darauf bei Vermetten : Im Grenzbereich von Literatur und Film, S. 126 f. Bol- terauer : Die Herausforderung der neuen Medien, S. 158, skizziert die historische Situation, in der Musil seine AnsĂ€tze zu neuer Ästhetik verfasst hat, im Sinne medientheoretischer Gemein- plĂ€tze : „Das Auftauchen neuer Technologien provoziert neben der Begeisterung ĂŒber techni- sche Fertigkeiten [
] immer auch eine Infragestellung der ‚alten‘, nun als veraltet geltenden Medien. [
] Was kann das alte Medium (noch), was nicht das neue Medium besser kann ?“ Implizit vorausgesetzt wird dabei, dass neue Medien tendenziell immer alles zumindest gleich gut oder aber besser können. So ĂŒberrascht es nicht, dass Bolterauer „Chance und Grenze“ von Musils Essay in der „Gefahr“ sieht, „ins Fahrwasser jener Medien-VerĂ€chter zu geraten, die, was ihnen als Konkurrenz erscheinen könnte, als wertlos zu verunglimpfen sich beeilen, weil er die Eigenheiten des neuen Mediums Film sofort in das Universum seiner eigenen kĂŒnstlerischen ProduktivitĂ€t uminterpretiert, zurechtbiegt, zurechtdeutet“, frei nach dem Motto : „Der Film ist nur deshalb so gut, weil er bestĂ€tigt, was Robert Musil immer schon vermutet hat.“ (S. 160) Diese etwas maliziöse Deutung scheint mir nicht sonderlich triftig, weil Musil in seinem Essay – der sich ausdrĂŒcklich nicht als Rezension im eigentlichen Wortsinn zu erkennen gibt, sondern als Sammlung anlassbezogener „Bemerkungen“ (GW 8, 1138 u. ö.; vgl. dazu Br 1, 371) – den Film keineswegs als „wertlos“ verunglimpft, sondern im Gegenteil die als ĂŒberholt attackierte Literatur gegen die nicht immer sehr differenzierte Radikalkritik BalĂĄzs’ (vgl. BalĂĄzs : Der sicht- bare Mensch, S. 18, 42–46, 74 u. 85 ; dagegen nur S. 61 f.) zu legitimieren trachtet. Abgesehen davon können gerade ‚Uminterpretationen‘ und MissverstĂ€ndnisse kulturelle ProduktivitĂ€t ent- falten, wie die Kulturgeschichte zeigt. 228 Frank : Musil contra BalĂĄzs, S. 142. „Das protokinematographische Scharfstellen der Schrift auf das Gesicht und den Körper haben seither die ProtokollsĂ€tze der Wissenschaften und die Apparate ĂŒbernommen.“ Genaueres zu Hofmannsthal findet sich ebd., S. 125–133. 229 Ebd., S. 143. 230 Frank meint ĂŒberdies, Musil verfolge in AnsĂ€tze zu neuer Ästhetik „ausdrĂŒcklich“ ein „Pro- gramm[ ] der Normalisierung“ (ebd., S. 144), denn er bĂ€ndige „seine ursprĂŒnglich radikale Poetik des ‚anderen Zustands‘ durch ein Gebot der RĂŒckĂŒbersetzbarkeit“ (S. 152). Wie diese
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Kakanien als Gesellschaftskonstruktion Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
FWF-E-Book-Library
Title
Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
Subtitle
Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
Author
Norbert Christian Wolf
Publisher
Böhlau Verlag
Location
Wien
Date
2011
Language
German
License
CC BY-NC-ND 3.0
ISBN
978-3-205-78740-2
Size
15.5 x 23.0 cm
Pages
1224
Keywords
Robert Musil, The Man without Qualities, modern novel, sociology of the novel, Pierre Bourdieu, cultural history
Category
Geisteswissenschaften

Table of contents

  1. Vorbemerkung 9
  2. Einleitung 11
    1. 1. Vom Scheitern eines Großkritikers : Aporien der Literaturkritik 11
    2. 2. Die MĂŒhen der Literaturwissenschaft : Aporien der Forschung 20
  3. TEIL I : GRUNDLEGUNG
    1. 1. Grundlagen der Untersuchung 43
      1. 1.1 Vorstellung der Methode : Bourdieus Sozioanalyse literarischer Texte 43
      2. 1.2 Methodologische EinwÀnde : Kritik der Sozioanalyse 58
    2. 2. Grundlagen der Poetik Musils 64
      1. 2.1 Der Mensch ohne Eigenschaften : ‚Gestaltlosigkeit‘ als ‚negative‘ Anthropologie 64
      2. 2.2 ‚Gestaltlosigkeit‘ und Romantext als Gesellschaftskonstruktion 80
    3. Gesellschaft im Roman 82
    4. Roman als Konstruktion 101
    5. Da capo : Angemessenheit und Vorgehensweise der Sozioanalyse 124
      1. 2.3 Medienkonkurrenz : Essayistisches vs. filmisches ErzÀhlen (Musil kontra Balåzs) 129
    6. 3. Grundbegriffe des Romankonzepts 165
      1. 3.1 Eigenschaftslosigkeit 165
      2. 3.2 Möglichkeitssinn und Essayismus 199
  4. TEIL II : ROMANTEXT ALS KRÄFTEFELD
    1. 1. „Versuchsstation des Weltuntergangs“ : Chronotopos und sozialer Raum 261
      1. 1.1 SelbstreferenzialitĂ€t und Außenreferenz : Das Eingangskapitel 261
      2. 1.2 Ein Land ohne Eigenschaften – Kakanien als Modell 282
      3. 1.3 Das Feld der Macht im Mann ohne Eigenschaften 300
    2. 2. „Zeitfiguren“ 1913/1930 „am gesellschaftlichen Schachbrett“ : Kapitalausstattung und Habitusbildung 328
      1. 2.1 MĂ€nner 334
    3. Erben und Enterbte 344
    4. Ulrich, Mann ohne Eigenschaften ) – Der Dilettant Walter 347
    5. Mann mit Eigenschaften 378
    6. Eigenschaftslosigkeit aus Marginalisierung : Ulrichs Alter Ego Moosbrugger 392
    7. Der moderne Industrielle : Ulrichs Gegenspieler Arnheim 409
    8. Adel und modernerKonservativismus : Ulrichs Inversion Leinsdorf 457
    9. Aufsteiger und Gebremste 482
    10. Realpolitik als ‚Antiessayismus‘ : Der FunktionĂ€r Tuzzi (489) – Zur sozialen Erzeugung von Eigenschaften : Leo Fischel, Liberaler und ‚Jude‘ 501
    11. Ein trojanisches Pferd des MilitÀrs : General Stumm von Bordwehr 523
    12. Terroristen und Propheten 548
    13. Forcierte ‚Eigenschaftlichkeit‘ : Der Antisemit Hans Sepp 558
    14. eingast, Faschist und Schwerenöter 584
    15. Der selbstbewusste Proletarier und junge Sozialist Schmeißer 601
    16. Friedel Feuermaul, Pazifist aus dem „Geiste des Expressionismus“ 613
      1. 2.2 Frauen 635
    17. Gefallene Geliebte 643
    18. Zerrissener Zusammenhang, perspektivische Verschiebung : Ulrichs Geliebte Leona 649
    19. Petrifizierte ‚Eigenschaftlichkeit‘, Macht des Faktischen : Ulrichs Geliebte Bonadea 659
    20. Leidende an einer geheimnisvollen Zeitkrankheit 672
    21. Wahnsinn als Methode : Clarisse 676
    22. Die frustrierte Ehefrau Klementine Fischel 694
    23. Ein gespaltener Habitus : Gerda Fischel 698
    24. Angepasste und Dissidentinnen 708
    25. Diotima, Frau mit Eigenschaften 712
    26. Agathe, Frau ohne Eigenschaften 737
    27. 3. „Die falschen zwischenmenschlichen Vereinigungen unserer Gesellschaft“ : Konstellationen und Interaktionen 768
      1. 3.1 Gemischtgeschlechtliche Konstellationen : MĂ€nner und Frauen im 20. Jahrhundert 771
    28. Ehen in der Krise 781
    29. Erosion der GeschlechteridentitĂ€ten : Die „TrĂ€ger des Zeit- wandels“ Walter und Clarisse 788
    30. Von der physiologischen „Zwangsherrschaft“ zur wissenschaftlichen EhefĂŒhrung : Diotima und Tuzzi 799
    31. Das schleichende Eindringen des Politischen ins Private : Leo und Klementine Fischel 809
    32. Unordentliche VerhÀltnisse, Geschlechterkampf 817
    33. Der Intellektuelle und die Kontrafaktur der ‚schönen Seele‘ : Ulrich und Bonadea 825
    34. Coitus interruptus als „Lustselbstmord“ : Ulrich und Gerda 844
    35. Liebesversuche jenseits der Ehe 885
    36. Ulrichs frĂŒhes Einheitserlebnis 894
    37. Die verbindende Kraft des Antisemitismus : Gerda Fischel und Hans Sepp 902
    38. Liebe à la hausse, platonische „Begegnung zweier Berggipfel“ : Diotima und Arnheim 908
    39. Die „letzte Liebesgeschichte“ als Experiment der Androgynie : Ulrich und Agathe 928
    40. 3.2 Gleichgeschlechtliche Konstellationen : Moderne MĂ€nnerbeziehungen 998
    41. Konkurrenz um Prinzipien und Menschen 1000
    42. Reviermarkierungen im Kampf um eine Frau : Tuzzi gegen Arnheim, Preußen gegen Österreich 1005
    43. Der Intellektuelle und der Großschriftsteller als Versucher : Ulrich gegen Arnheim 1014
    44. Ideologische Gegnerschaften, Klassenkampf 1059
    45. Entgegengesetzte „Exponenten des Zeitgeistes“ : Hans Sepp und Feuer maul 1063
    46. BildungsbĂŒrger contra KleinbĂŒrger : Ulrich und Hans Sepp 1078
  5. BildungsbĂŒrger contra Proletarier : Ulrich und Schmeißer 1086
  6. TEIL III : ERZEUGUNGSFORMEL DES WERKS UND SELBSTOBJEKTIVIERUNG DES AUTORS
    1. 1. Der Mann ohne Eigenschaften im zeitgenössischen literarischen Feld 1099
      1. 1.1 ‚Negative‘ Anthropologie als literaturpolitischer Einsatz 1101
      2. 1.2 Poetik des Essayismus – Musils vielfacher Bruch 1130
    2. 2. Autor und Romanheld in der Moderne – Musils indirekte Selbstanalyse 1152
  7. Literaturverzeichnis 1169
  8. Musil-Texte 1169
  9. Andere Quellen 1169
  10. Nachschlagewerke 1176
  11. Allgemeine Forschungsliteratur 1176
  12. SekundÀrliteratur zu Musil 1193
  13. Register 1208
    1. 1. Personen 1208
    2. 2. Literarische Figuren 1214
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