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âDie falschen zwischenmenschlichen Vereinigungen unserer Gesellschaftâ 1059
Relativierungen ein, denen auch die intellektuellen Steckenpferde des Mannes
ohne Eigenschaften nicht entgehen, insbesondere aber nicht deren durchaus
partikulare soziologische Möglichkeitsbedingung, was sich in Ulrichs Kon-
frontation mit Hans Sepp, vor allem aber mit dem jungen SchmeiĂer zeigen
wird.748 Wie Andrea Gnam hervorgehoben hat, findet das Misstrauen vie-
ler Romanfiguren âgegen Worte und Begriffe, die nicht nur das Material der
Dichtung, sondern auch der ausufernden Rede bildenâ, seinen âironischen
Kulminationspunktâ schlieĂlich in der âParole der Tatâ (MoE 994).749 Dies
erinnert wiederum an Carl Schmitts Kritik intellektueller Handlungshem-
mung bzw. an die Polemik gegen die âromantischeâ Vorliebe fĂŒr das ewige
âGeredeâ.750 Die im Mann ohne Eigenschaften von Arnheim verkörperte âParole
der Tatâ ist nicht von ungefĂ€hr ein Schlachtruf der âkonservativen Revolutionâ,
die zur ErzÀhlzeit des Romans entschieden an Boden gewann. Einen sarkas-
tischen Kommentar zu dieser fatalen Entwicklung gibt Musil selbst wenige
Jahre spĂ€ter in seiner Rede Ăber die Dummheit (1937) : âIn Zeiten, wo groĂe,
zupackende Tatkraft sehr geschÀtzt wird, ist es notwendig, sich auch an das
zu halten, was ihr manchmal zum Verwechseln Ă€hnlich sieht.â (GW 8, 1284)
Die dafĂŒr unabdingbare intellektuelle GroĂzĂŒgigkeit ist im Roman ein Privileg
nicht Ulrichs, sondern Arnheims. Der autonome Intellektuelle hingegen bleibt
durch seinen habituellen Skeptizismus vor solch gefĂ€hrlichen âSubreptionenâ
gefeit. Sein blinder Punkt gereicht ihm zumindest hier nicht zum Nachteil,
sondern fungiert als Schutz vor der Vereinnahmung durch jene kunst- und
kulturfeindlichen Instanzen, deren (zunehmend schmutziges) GeschÀft der
GroĂschriftsteller nolens volens betreibt.
Ideologische Gegnerschaften, Klassenkampf
â[D]ie Ăsterreichisch-Ungarische Monarchie (als Beispiel fĂŒr historisch-po-
litische Wirklichkeit genommen) war gar nicht so friedlich, es gab, innenpo-
die Wirklichkeit hervorrufen wĂŒrde. Ironischerweise macht ausgerechnet Arnheim Ulrich da-
rauf aufmerksam, daĂ seine vagen utopischen Visionen ihre Anziehungskraft gerade der Tat-
sache verdanken, daĂ die von ihnen hervorgerufenen ethischen Konflikte auĂer Acht bleiben.
Vor allen Dingen aber wird deutlich, daà Ulrichs Visionen möglicherweise genauso unrealis-
tisch und regressiv sind wie Arnheims âInteressenfusion Seele-GeschĂ€ftâ. Aus dem GesprĂ€ch
mit Arnheim gewinnt der Mann ohne Eigenschaften die Einsicht in die Notwendigkeit, daĂ
man sich mit der WidersprĂŒchlichkeit und Unversöhnlichkeit modernen Lebens abfinden [âŠ]
muĂ.â
748 Vgl. dazu die beiden abschlieĂenden Abschnitte des gegenwĂ€rtigen Kapitels.
749 Gnam : âLeben in Hypothesenâ, S. 124 ; mehr dazu ebd., S. 124 f.
750 Vgl. Schmitt : Politische Romantik, S. 3.
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book Kakanien als Gesellschaftskonstruktion - Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts"
Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Title
- Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
- Subtitle
- Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Author
- Norbert Christian Wolf
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78740-2
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 1224
- Keywords
- Robert Musil, The Man without Qualities, modern novel, sociology of the novel, Pierre Bourdieu, cultural history
- Category
- Geisteswissenschaften
Table of contents
- Vorbemerkung 9
- Einleitung 11
- TEIL I : GRUNDLEGUNG
- TEIL II : ROMANTEXT ALS KRĂFTEFELD
- 1. âVersuchsstation des Weltuntergangsâ : Chronotopos und sozialer Raum 261
- 2. âZeitfigurenâ 1913/1930 âam gesellschaftlichen Schachbrettâ : Kapitalausstattung und Habitusbildung 328
- Erben und Enterbte 344
- Ulrich, Mann ohne Eigenschaften ) â Der Dilettant Walter 347
- Mann mit Eigenschaften 378
- Eigenschaftslosigkeit aus Marginalisierung : Ulrichs Alter Ego Moosbrugger 392
- Der moderne Industrielle : Ulrichs Gegenspieler Arnheim 409
- Adel und modernerKonservativismus : Ulrichs Inversion Leinsdorf 457
- Aufsteiger und Gebremste 482
- Realpolitik als âAntiessayismusâ : Der FunktionĂ€r Tuzzi (489) â Zur sozialen Erzeugung von Eigenschaften : Leo Fischel, Liberaler und âJudeâ 501
- Ein trojanisches Pferd des MilitÀrs : General Stumm von Bordwehr 523
- Terroristen und Propheten 548
- Forcierte âEigenschaftlichkeitâ : Der Antisemit Hans Sepp 558
- eingast, Faschist und Schwerenöter 584
- Der selbstbewusste Proletarier und junge Sozialist SchmeiĂer 601
- Friedel Feuermaul, Pazifist aus dem âGeiste des Expressionismusâ 613
- Gefallene Geliebte 643
- Zerrissener Zusammenhang, perspektivische Verschiebung : Ulrichs Geliebte Leona 649
- Petrifizierte âEigenschaftlichkeitâ, Macht des Faktischen : Ulrichs Geliebte Bonadea 659
- Leidende an einer geheimnisvollen Zeitkrankheit 672
- Wahnsinn als Methode : Clarisse 676
- Die frustrierte Ehefrau Klementine Fischel 694
- Ein gespaltener Habitus : Gerda Fischel 698
- Angepasste und Dissidentinnen 708
- Diotima, Frau mit Eigenschaften 712
- Agathe, Frau ohne Eigenschaften 737
- 3. âDie falschen zwischenmenschlichen Vereinigungen unserer Gesellschaftâ : Konstellationen und Interaktionen 768
- Ehen in der Krise 781
- Erosion der GeschlechteridentitĂ€ten : Die âTrĂ€ger des Zeit- wandelsâ Walter und Clarisse 788
- Von der physiologischen âZwangsherrschaftâ zur wissenschaftlichen EhefĂŒhrung : Diotima und Tuzzi 799
- Das schleichende Eindringen des Politischen ins Private : Leo und Klementine Fischel 809
- Unordentliche VerhÀltnisse, Geschlechterkampf 817
- Der Intellektuelle und die Kontrafaktur der âschönen Seeleâ : Ulrich und Bonadea 825
- Coitus interruptus als âLustselbstmordâ : Ulrich und Gerda 844
- Liebesversuche jenseits der Ehe 885
- Ulrichs frĂŒhes Einheitserlebnis 894
- Die verbindende Kraft des Antisemitismus : Gerda Fischel und Hans Sepp 902
- Liebe Ă la hausse, platonische âBegegnung zweier Berggipfelâ : Diotima und Arnheim 908
- Die âletzte Liebesgeschichteâ als Experiment der Androgynie : Ulrich und Agathe 928
- 3.2 Gleichgeschlechtliche Konstellationen : Moderne MĂ€nnerbeziehungen 998
- Konkurrenz um Prinzipien und Menschen 1000
- Reviermarkierungen im Kampf um eine Frau : Tuzzi gegen Arnheim, PreuĂen gegen Ăsterreich 1005
- Der Intellektuelle und der GroĂschriftsteller als Versucher : Ulrich gegen Arnheim 1014
- Ideologische Gegnerschaften, Klassenkampf 1059
- Entgegengesetzte âExponenten des Zeitgeistesâ : Hans Sepp und Feuer maul 1063
- BildungsbĂŒrger contra KleinbĂŒrger : Ulrich und Hans Sepp 1078
- BildungsbĂŒrger contra Proletarier : Ulrich und SchmeiĂer 1086
- TEIL III : ERZEUGUNGSFORMEL DES WERKS UND SELBSTOBJEKTIVIERUNG DES AUTORS
- Literaturverzeichnis 1169
- Musil-Texte 1169
- Andere Quellen 1169
- Nachschlagewerke 1176
- Allgemeine Forschungsliteratur 1176
- SekundÀrliteratur zu Musil 1193
- Register 1208