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676 Teil II: Romantext als KrÀftefeld
dem allein dazu befÀhigten Mann zu erhoffen habe. Sie habe sich einfach seinen Ent-
scheidungen zu fĂŒgen und ihm zu gehorchen, dann werde es ihr wohlergehen auf
Erden.1001
SpÀtestens nach den Erfahrungen von 1918 erschienen solche traditionellen
Vorstellungen nicht mehr zeitgemĂ€Ă, wie Lazarsfeld betont : â[W]enn man
z. B. den Weltkrieg und seine Folgen betrachtet, dann muĂ man wohl sagen,
noch schlechter hĂ€tten es die Frauen auch nicht mehr machen können.â1002 Ge-
nau an den noch in den dreiĂiger Jahren diagnostizierten ĂŒberkommenen Ge-
schlechterverhÀltnissen leiden aber die im Folgenden analysierten weiblichen
âZeitfigurenâ Clarisse sowie Klementine und Gerda Fischel.
Wahnsinn als Methode : Clarisse
Im Tagebuchheft 8 (1920) bezeichnet Musil seine Romanfigur Walter als
âGöthemensch[en], dem wahrhaftig bei allem ein Götheausspruch einfĂ€llt
[âŠ]. Der auch sein ganzes Weltwesen danach orientiert.â (Tb 1, 356) Die
gewaltige VerdrÀngungs- und Kompensationsleistung, die sich in Walters
Wandel vom revolutionÀren Nietzscheaner zum konservativ-evolutionÀren
âGöthemenschenâ niederschlĂ€gt, wurde bereits analysiert.1003 In unmittelbarer
Nachbarschaft der Tagebuchnotiz zu Walter findet sich auch das besagte1004
Ă€sthetische Pensum Musils : âEinen Menschen ganz aus Zitaten zusammen-
setzen !â (Tb 1, 356) Wenn es eine Figur im Mann ohne Eigenschaften gibt, auf
die dieses forcierte ErzÀhlkonzept nicht nur kursorisch (wie bei Arnheim oder
Diotima), sondern tatsĂ€chlich ĂŒber weite Strecken zutrifft, dann ist dies al-
lerdings nicht Walter, sondern seine Ehefrau Clarisse, wie die Forschung mit
Blick auf Nietzsche gezeigt hat.1005 Die Figur der Clarisse ist freilich nicht nur
additiv aus Nietzsche-Zitaten zusammengesetzt ; sie ist vielmehr als durchaus
eigenstĂ€ndige Figur erzĂ€hlerisch gestaltet, denn ihre âgenerative Formelâ weist
weit mehr Facetten auf als die bloĂe Veranschaulichung eines einseitigen und
ĂŒbersteigerten Nietzscheanismus.1006 In diese Richtung deutet schon die recht
1001 Lazarsfeld : Wie die Frau den Mann erlebt, S. 159 f.
1002 Ebd., S. 160.
1003 Vgl. den Abschnitt zu Walter in Kap. II.2.1.
1004 Vgl. den Abschnitt Gesellschaft im Roman in Kap. I.2.2
1005 Vgl. MĂŒller : Ideologiekritik und Metasprache, S. 123â126 ; Howald : Ăsthetizismus und Ă€s-
thetische Ideologiekritik, S. 223â241 ; Neymeyr : Psychologie als Kulturdiagnose, S. 159â188 ;
unten auch die Beobachtungen zu Walter und Clarisse in Kap. II.3.1.
1006 Vgl. die Hinweise in Neymeyr : Psychologie als Kulturdiagnose, S. 207â223.
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Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Title
- Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
- Subtitle
- Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Author
- Norbert Christian Wolf
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78740-2
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 1224
- Keywords
- Robert Musil, The Man without Qualities, modern novel, sociology of the novel, Pierre Bourdieu, cultural history
- Category
- Geisteswissenschaften
Table of contents
- Vorbemerkung 9
- Einleitung 11
- TEIL I : GRUNDLEGUNG
- TEIL II : ROMANTEXT ALS KRĂFTEFELD
- 1. âVersuchsstation des Weltuntergangsâ : Chronotopos und sozialer Raum 261
- 2. âZeitfigurenâ 1913/1930 âam gesellschaftlichen Schachbrettâ : Kapitalausstattung und Habitusbildung 328
- Erben und Enterbte 344
- Ulrich, Mann ohne Eigenschaften ) â Der Dilettant Walter 347
- Mann mit Eigenschaften 378
- Eigenschaftslosigkeit aus Marginalisierung : Ulrichs Alter Ego Moosbrugger 392
- Der moderne Industrielle : Ulrichs Gegenspieler Arnheim 409
- Adel und modernerKonservativismus : Ulrichs Inversion Leinsdorf 457
- Aufsteiger und Gebremste 482
- Realpolitik als âAntiessayismusâ : Der FunktionĂ€r Tuzzi (489) â Zur sozialen Erzeugung von Eigenschaften : Leo Fischel, Liberaler und âJudeâ 501
- Ein trojanisches Pferd des MilitÀrs : General Stumm von Bordwehr 523
- Terroristen und Propheten 548
- Forcierte âEigenschaftlichkeitâ : Der Antisemit Hans Sepp 558
- eingast, Faschist und Schwerenöter 584
- Der selbstbewusste Proletarier und junge Sozialist SchmeiĂer 601
- Friedel Feuermaul, Pazifist aus dem âGeiste des Expressionismusâ 613
- Gefallene Geliebte 643
- Zerrissener Zusammenhang, perspektivische Verschiebung : Ulrichs Geliebte Leona 649
- Petrifizierte âEigenschaftlichkeitâ, Macht des Faktischen : Ulrichs Geliebte Bonadea 659
- Leidende an einer geheimnisvollen Zeitkrankheit 672
- Wahnsinn als Methode : Clarisse 676
- Die frustrierte Ehefrau Klementine Fischel 694
- Ein gespaltener Habitus : Gerda Fischel 698
- Angepasste und Dissidentinnen 708
- Diotima, Frau mit Eigenschaften 712
- Agathe, Frau ohne Eigenschaften 737
- 3. âDie falschen zwischenmenschlichen Vereinigungen unserer Gesellschaftâ : Konstellationen und Interaktionen 768
- Ehen in der Krise 781
- Erosion der GeschlechteridentitĂ€ten : Die âTrĂ€ger des Zeit- wandelsâ Walter und Clarisse 788
- Von der physiologischen âZwangsherrschaftâ zur wissenschaftlichen EhefĂŒhrung : Diotima und Tuzzi 799
- Das schleichende Eindringen des Politischen ins Private : Leo und Klementine Fischel 809
- Unordentliche VerhÀltnisse, Geschlechterkampf 817
- Der Intellektuelle und die Kontrafaktur der âschönen Seeleâ : Ulrich und Bonadea 825
- Coitus interruptus als âLustselbstmordâ : Ulrich und Gerda 844
- Liebesversuche jenseits der Ehe 885
- Ulrichs frĂŒhes Einheitserlebnis 894
- Die verbindende Kraft des Antisemitismus : Gerda Fischel und Hans Sepp 902
- Liebe Ă la hausse, platonische âBegegnung zweier Berggipfelâ : Diotima und Arnheim 908
- Die âletzte Liebesgeschichteâ als Experiment der Androgynie : Ulrich und Agathe 928
- 3.2 Gleichgeschlechtliche Konstellationen : Moderne MĂ€nnerbeziehungen 998
- Konkurrenz um Prinzipien und Menschen 1000
- Reviermarkierungen im Kampf um eine Frau : Tuzzi gegen Arnheim, PreuĂen gegen Ăsterreich 1005
- Der Intellektuelle und der GroĂschriftsteller als Versucher : Ulrich gegen Arnheim 1014
- Ideologische Gegnerschaften, Klassenkampf 1059
- Entgegengesetzte âExponenten des Zeitgeistesâ : Hans Sepp und Feuer maul 1063
- BildungsbĂŒrger contra KleinbĂŒrger : Ulrich und Hans Sepp 1078
- BildungsbĂŒrger contra Proletarier : Ulrich und SchmeiĂer 1086
- TEIL III : ERZEUGUNGSFORMEL DES WERKS UND SELBSTOBJEKTIVIERUNG DES AUTORS
- Literaturverzeichnis 1169
- Musil-Texte 1169
- Andere Quellen 1169
- Nachschlagewerke 1176
- Allgemeine Forschungsliteratur 1176
- SekundÀrliteratur zu Musil 1193
- Register 1208