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334 Teil II: Romantext als KrÀftefeld
gungen ernst und ĂŒbertrĂ€gt sie von der Ebene der Wahrnehmung auch auf die
der Handlung, dann lÀsst sich die skizzierte Vorstellung von einer erworbenen
âSchabloneâ des Bewusstseins im Sinn einer âgenerativen Formelâ fĂŒr die er-
zÀhlerische Figurengestaltung fruchtbar machen : Es ist diese stets individuell
definierte und sozial mehr oder weniger variierende Schablone, die die Einheit
der Vorstellungen, aber auch der Praktiken einer jeweiligen Figur gewÀhrleis-
tet. Mit anderen Worten : âMusil versteht Habitualisierung in einem aktiven
Sinn, der wie Scheuklappen WÀnde errichtet, um die anderen Möglichkeiten
nicht zu sehen.â26
Wenn im Folgenden zu Beginn der Untersuchung der einzelnen Romanfi-
guren und ihrer erzĂ€hlerischen Konstitution â mit der Ausnahme Ulrichs27 â
jeweils knapp auf die biografischen Modelle verwiesen wird (soweit diese der
Musil-Forschung bekannt sind), dann geschieht dies keineswegs mit einem
biografistischen ErklĂ€rungsanspruch. Den literarischen Figuren dĂŒrfen kei-
nesfalls âEigenschaften, Motivationen und eine âBiographieâ zugeschrieben
werden, die jeder textuellen Grundlage entbehrenâ28, im Gegenteil. Generell
sollen Extrapolationen und Spekulationen, die am Text nicht verifizierbar sind
und fĂŒr die es in ihm auch keine konkreten Anhaltspunkte gibt, bei der In-
terpretation keine Rolle spielen. Die Identifikation biografischer Modelle ist
aber insofern Ă€sthetisch signifikant und somit fĂŒr die Sozioanalyse literarischer
Texte von Bedeutung, als gerade auffallende Abweichungen von ihnen auf
konzeptionelle Funktionalisierungen verweisen, die sonst nicht immer in glei-
cher Deutlichkeit sichtbar wÀren.
2.1 MĂ€nner
Was im Bezug auf Frauen mittlerweile zu einem Gemeingut kultur- und sozi-
alwissenschaftlicher Theoriebildung geworden sein dĂŒrfte, scheint hinsichtlich
der MĂ€nner noch keineswegs allgemein ausgemacht : Auch diese sind â wenn-
gleich weniger sichtbar als Frauen â âGefangene und auf versteckte Weise
Opfer der herrschenden Vorstellungâ von Geschlechtlichkeit. âDer Status des
Mannes im Sinne von vir impliziert ein Seinsollen, eine virtus, die sich im Mo-
26 Martens : Beobachtungen der Moderne, S. 130, unter Verweis auf GW 8, 1220.
27 Die enge und intrikate Beziehung zwischen Ulrich und seinem Autor ist im abschlieĂenden Teil
dieser Arbeit Gegenstand einer eigenen eingehenden Analyse ; vgl. Kap. III.2.
28 Gymnich : Konzepte literarischer Figuren und Figurencharakterisierung, S. 126.
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Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Title
- Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
- Subtitle
- Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Author
- Norbert Christian Wolf
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78740-2
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 1224
- Keywords
- Robert Musil, The Man without Qualities, modern novel, sociology of the novel, Pierre Bourdieu, cultural history
- Category
- Geisteswissenschaften
Table of contents
- Vorbemerkung 9
- Einleitung 11
- TEIL I : GRUNDLEGUNG
- TEIL II : ROMANTEXT ALS KRĂFTEFELD
- 1. âVersuchsstation des Weltuntergangsâ : Chronotopos und sozialer Raum 261
- 2. âZeitfigurenâ 1913/1930 âam gesellschaftlichen Schachbrettâ : Kapitalausstattung und Habitusbildung 328
- Erben und Enterbte 344
- Ulrich, Mann ohne Eigenschaften ) â Der Dilettant Walter 347
- Mann mit Eigenschaften 378
- Eigenschaftslosigkeit aus Marginalisierung : Ulrichs Alter Ego Moosbrugger 392
- Der moderne Industrielle : Ulrichs Gegenspieler Arnheim 409
- Adel und modernerKonservativismus : Ulrichs Inversion Leinsdorf 457
- Aufsteiger und Gebremste 482
- Realpolitik als âAntiessayismusâ : Der FunktionĂ€r Tuzzi (489) â Zur sozialen Erzeugung von Eigenschaften : Leo Fischel, Liberaler und âJudeâ 501
- Ein trojanisches Pferd des MilitÀrs : General Stumm von Bordwehr 523
- Terroristen und Propheten 548
- Forcierte âEigenschaftlichkeitâ : Der Antisemit Hans Sepp 558
- eingast, Faschist und Schwerenöter 584
- Der selbstbewusste Proletarier und junge Sozialist SchmeiĂer 601
- Friedel Feuermaul, Pazifist aus dem âGeiste des Expressionismusâ 613
- Gefallene Geliebte 643
- Zerrissener Zusammenhang, perspektivische Verschiebung : Ulrichs Geliebte Leona 649
- Petrifizierte âEigenschaftlichkeitâ, Macht des Faktischen : Ulrichs Geliebte Bonadea 659
- Leidende an einer geheimnisvollen Zeitkrankheit 672
- Wahnsinn als Methode : Clarisse 676
- Die frustrierte Ehefrau Klementine Fischel 694
- Ein gespaltener Habitus : Gerda Fischel 698
- Angepasste und Dissidentinnen 708
- Diotima, Frau mit Eigenschaften 712
- Agathe, Frau ohne Eigenschaften 737
- 3. âDie falschen zwischenmenschlichen Vereinigungen unserer Gesellschaftâ : Konstellationen und Interaktionen 768
- Ehen in der Krise 781
- Erosion der GeschlechteridentitĂ€ten : Die âTrĂ€ger des Zeit- wandelsâ Walter und Clarisse 788
- Von der physiologischen âZwangsherrschaftâ zur wissenschaftlichen EhefĂŒhrung : Diotima und Tuzzi 799
- Das schleichende Eindringen des Politischen ins Private : Leo und Klementine Fischel 809
- Unordentliche VerhÀltnisse, Geschlechterkampf 817
- Der Intellektuelle und die Kontrafaktur der âschönen Seeleâ : Ulrich und Bonadea 825
- Coitus interruptus als âLustselbstmordâ : Ulrich und Gerda 844
- Liebesversuche jenseits der Ehe 885
- Ulrichs frĂŒhes Einheitserlebnis 894
- Die verbindende Kraft des Antisemitismus : Gerda Fischel und Hans Sepp 902
- Liebe Ă la hausse, platonische âBegegnung zweier Berggipfelâ : Diotima und Arnheim 908
- Die âletzte Liebesgeschichteâ als Experiment der Androgynie : Ulrich und Agathe 928
- 3.2 Gleichgeschlechtliche Konstellationen : Moderne MĂ€nnerbeziehungen 998
- Konkurrenz um Prinzipien und Menschen 1000
- Reviermarkierungen im Kampf um eine Frau : Tuzzi gegen Arnheim, PreuĂen gegen Ăsterreich 1005
- Der Intellektuelle und der GroĂschriftsteller als Versucher : Ulrich gegen Arnheim 1014
- Ideologische Gegnerschaften, Klassenkampf 1059
- Entgegengesetzte âExponenten des Zeitgeistesâ : Hans Sepp und Feuer maul 1063
- BildungsbĂŒrger contra KleinbĂŒrger : Ulrich und Hans Sepp 1078
- BildungsbĂŒrger contra Proletarier : Ulrich und SchmeiĂer 1086
- TEIL III : ERZEUGUNGSFORMEL DES WERKS UND SELBSTOBJEKTIVIERUNG DES AUTORS
- Literaturverzeichnis 1169
- Musil-Texte 1169
- Andere Quellen 1169
- Nachschlagewerke 1176
- Allgemeine Forschungsliteratur 1176
- SekundÀrliteratur zu Musil 1193
- Register 1208